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Die zugänglichen Schriften und Bücher Maria Montessoris sind mit ziemlicher Sicherheit nur der kleinere Teil dessen, was an schriftlich festgehaltenen Aussagen der Pädagogin vorliegt. Fast die gesamte literarische Diskussion in der Nachkriegszeit (ab 1945) stützte sich auf die frühe deutsche Übersetzung des „Metodo …“ (Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter) von 1913 und die 1926 erschienene Übersetzung der „L’autoeducazione …“ („Montessori-Pädagogik für Schulkinder“). (Montessori, Maria: Il metodo della pedagogia scientifica applicato all’educazione infantile nelle case dei bambini, Città di Castello 1909; dt. Übers.: Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter, Stuttgart 1913, Neuausgabe: Die Entdeckung des Kindes (Hrsg. P. Oswald und G. Schulz-Benesch), Feiburg/Br. 1969; und L’autoeducazione nelle scuole elementari, Roma 1916; dt. Übers.: Montessori-Erziehung für Schulkinder, Stuttgart 1926, Neuausgabe: Schule des Kindes (Hrsg. P. Oswald und G. Schulz-Benesch) Freiburg/Br. 1976)

Notizen über die Reden und Schriften Maria Montessoris

Zusammenstellung: H. Eichelberger

 

Die zugänglichen Schriften und Bücher Maria Montessoris sind mit ziemlicher Sicherheit nur der kleinere Teil dessen, was an schriftlich festgehaltenen Aussagen der Pädagogin vorliegt. Fast die gesamte literarische Diskussion in der Nachkriegszeit (ab 1945) stützte sich auf die frühe deutsche Übersetzung des „Metodo …“ (Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter) von 1913 und die 1926 erschienene Übersetzung der „L’autoeducazione …“ („Montessori-Pädagogik für Schulkinder“).[1]

Zur Edition des „Metodo …“

Wie wir aus dem zitierten Buch Anna M. Maccheronis erfahren, war das erste große pädagogische Buch Maria Montessoris, das dann allenthalben in der Welt das bekannteste und in vielen Sprachen das einzig übersetzte geblieben ist, von ihr ursprünglich nicht geplant, sondern auf direkten persönlichen Anspruch hin verfasst worden: „Nach 20 Tagen war das Manuskript fertig … tags darauf nahm der Baron (Franchetti) den Zug nach Città di Castello und übergab dort, wo er gut bekannt war, das Manuskript einer Druckerei, nicht einem Verleger, mit dem Befehl, Satz für Satz zu drucken, ohne auch nur ein Komma zu ändern. So erschien das erste Buch der Methode.“ [2]

Es ist klar, dass das Buch, wenn es auch einige Partien aus schon früher verfassten Texten enthielt, doch für eine systematische Darstellung viel zu schnell hergestellt worden war.

Diese Tatsache gibt uns auch einen Hinweis über die „Wissenschaftlichkeit“ der Werke M. Montessoris:

Die geisteswissenschaftliche Pädagogik hat M. Montessori nie eigentlich studiert, … wir … sind aber geneigt, nach deren Terminologie zu denken und zu urteilen: mitunter eine Schwierigkeit in der Interpretation ihrer Aussagen.

In der Ausgabe von 1918 erklärt Maria Montessori, keine Abhandlung über wissenschaftliche Pädagogik, sondern Ergebnisse eines pädagogischen Versuches vorzulegen. Dieser könnte den Weg zur praktischen Durchführung neuer Methoden aufzeigen, …[3]

So lesen wir auch im Vorwort dieses Buches:

„Nicht primär pädagogische Theorie führte Montessori zu ihrem originellen Beitrag, sondern die Gabe ursprünglicher intuitiver Erfassung pädagogischer Kernphänomene.“ [4]

Das Buch gibt vor allem Aufschluss über die Entstehung ihrer Methode, über die Entwicklung des Materials mit den Kindern und für die Kinder, über die Technik der Lektionen, über die Arbeit der ErzieherInnen und LehrerInnen mit den Kindern und über das Umdenken in der Erziehung.

 

Zur Edition der „L’autoeducazione …“

Trotz der Eile der Anfertigung war der alte „Metodo“ als Buch mit Originalmanuskripten authentischer als manche der späteren Bücher Montessoris. Und dieses Maß an Authentizität gilt ebenfalls für die „L’autoeducazione“. Zwar findet man auch hier Andeutungen der Verwendung früherer Unterlagen, beim Vergleich z.B. mit Vortragstexten der frühen Kurse, doch ist gerade die „L’autoeducazione“ ein relativ systematisches Buch Montessoris. Dies gilt in zweierlei Hinsicht: in bezug auf die Theorie und in bezug auf die Praxis. In bezug auf die Theorie ergibt sich nicht nur eine gewisse Aufarbeitung eines Theorie-Defizits, sondern eine andere Art des Ansatzes, der von nun an in Montessoris Werk zunehmend an Bedeutung gewinnt: der eigentliche Zentralpunkt des Buches und der darin entfalteten pädagogischen Theorie ist nämlich nicht ein Axiom oder irgendeine andere Vorgabe, sondern der Bericht ihrer Erfahrung und deren theoretische Ausfaltung. [5]

Nach der Quintessenz ihrer Theorie gefragt, antwortete Montessori: Beobachtend warten ! [6]

„Tatsachen“, „Phänomene“, „Erfahrung“, „Werk des Kindes“ (nicht ihrer selbst !): Das sind Kennzeichnungen, die Montessori ab ihrer Zeit in San Lorenzo immer wieder benutzt.

In der „L’autoeducazione“ geht Montessori vor allem von der Entdeckung der Konzentration bei jenem kleinen Mädchen aus [7] – der Polarisation der Aufmerksamkeit.

In dem Bild dieser unscheinbaren Begebenheit erfasst Montessori eine Erfahrung, die zu einer wesentlichen Grundlage ihrer ganzen weiteren pädagogischen Arbeit wurde: Es ist die Erfahrung des Wesens des Kindes in seiner prinzipiellen und besonderen Menschlichkeit:

 

mehr noch als anderen Geschöpfe ist der Mensch in seinem Wesen in besonderer Weise während seiner Entstehung, während seines Aufbaus erkennbar; … für M. Montessori ist

es eben diese Dynamik der Selbstverwirklichung, des „Aufbaus des Menschen, die für Montessori das Kind charakterisiert und damit pädagogische Bemühung zu leiten hat.

 

Was in dem Buch weiter folgt, ist in gewisser Weise die Entfaltung dieser Grunderfahrungen in alle Bereiche und Dimensionen: Intellekt, Wille, Gefühl und die Bereiche der Kultur: Sprache, Mathematik, Naturwissenschaft, Kunst usw.

Der zweite Hauptband dieses Werkes, in dem die Beschreibung der Praxis vorgelegt wurde, fehlt in der deutschen Übersetzung bis heute. Das kleine Handbuch ist dafür kein geeigneter Ersatz und längst vergriffen.[8]

Bei beiden bisher besprochenen Büchern gleitet die systematische Darstellung bisweilen ins Rhetorische und Theoretische ab. Dies gilt besonders auch für die bekannten Schriften „Kinder sind anders“, „Friede und Erziehung“ und für gewisse Passagen von „The Absorbent Mind“ [9]

Die Gründe für diese „eigentümliche Systematik sind rasch aufgezählt:

 

–          Es handelt sich bei diesen Schriften ausschließlich um Redetexte bzw. Kursvorträge.
           (Der Text von „Kinder sind anders“ entspricht im wesentlichen Radiovorträgen in Barcelona 1935.)

–          Sehr oft lagen diesen Reden keine Manuskripte zugrunde.

–          Die Themen der Vortragsserien waren oft in der thematischen Abfolge nicht vorgeplant.

–          Die Redetexte wurden gelegentlich von einer zweiten Person nach der mündlichen Übersetzung schriftlich festgehalten. [10]

 

Zur Entstehung des Buches „The Absorbent Mind“ [11]

Die jetzt vorliegende deutsche Ausgabe „Das kreative Kind – Der absorbierende Geist“ stützt sich auf die als authentisch erklärte italienische Version. Zweifel an der Authentizität des Buches kamen durch dessen ungewöhnliche Entstehungsgeschichte zusammen: Es enthält großteils theoretische Vorträge, die M. Montessori auf dem 6. Indischen Montessori-Kurs zu Ahmedabad (1944/45) gehalten hat. Eine unbekannte Person, deren Name anscheinend nicht mehr zu ermitteln ist, schrieb diese Vorträge mit. Als Übersetzer fungierte M. Montessoris Sohn Mario M. Maria Montessori nahm noch eine Überarbeitung des Werkes vor.

Nach Maria Montessoris eigenen Worten muss dieses Buch anscheinend mit besonderem Vorverständnis gelesen werden, das Maria Montessori wie folgt umschreibt: Ihre Vortragsserien schloss sie gerne mit den Worten:

Glauben Sie nicht, Sie hätten es schon verstanden – jetzt müssen Sie erst das bisher Verstandene tun! [12]

Noch einmal Rita Kramer über die Entstehung ihrer Werke:
Nach den Berichten derer, die sie in einem Vortrag erlebten, scheint sie einer der großen Lehrer einer Rednertradition gewesen zu sein, die bis Sokrates zurückgeht. Aber unglücklicherweise hatte sie keinen Platon !“ [13]

Trotz der Entstehungsgeschichte des Werkes „The Absorbend Mind“ gilt dies als das „Alterswerk“ Maria Montessoris.

Dieses Buch will „wohl verstanden werden“, ist in seiner Begrifflichkeit nicht immer einfach, geprägt von der Altersweisheit der – nach dem Urteil ihres Sohnes – am meisten missverstandenen Erzieherin aller Zeiten.[14]Zum Abschluss noch eine authentische nicht bearbeitete Passage aus einem Kursvortrag über die Aufgabe des Lehrers:

 

Er muss das Kind, das arbeitet, respektieren, ohne es zu unterbrechen.

Er muss das Kind, das Fehler macht, respektieren, ohne es zu korrigieren.

Er muss das Kind respektieren, das sich ausruht und das die Arbeit anderer betrachtet, ohne es zu stören und ohne es zur Arbeit zu zwingen.

Er muss aber unermüdlich sein, immer wieder denen Gegenstände anzubieten, die sie schon einmal abgelehnt haben und Fehler machen.

Und dies, indem er seine Umgebung mit seinem Sorgen belebt,

mit seinem bedachten Schweigen, mit seinem sanften Wort;

mit der Gegenwart jemandes, der liebt. [15]


[1]             Montessori, Maria: Il metodo della pedagogia scientifica applicato all’educazione infantile nelle case
                  dei bambini
, Città di Castello 1909; dt. Übers.: Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter, Stuttgart 1913,
                  Neuausgabe: Die Entdeckung des Kindes (Hrsg. P. Oswald und G. Schulz-Benesch), Feiburg/Br. 1969;
                  und L’autoeducazione nelle scuole elementari, Roma 1916; dt. Übers.: Montessori-Erziehung für Schulkinder,
                  Stuttgart 1926, Neuausgabe: Schule des Kindes (Hrsg. P. Oswald und G. Schulz-Benesch) Freiburg/Br. 1976.

[2]             Maccheroni, Anna Maria: Come conobbi Maria Montessori, Roma 1956, S. 49f.

[3]             Montessori, Maria: Die Entdeckung des Kindes. a.a.O. S.3
                  und Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter, a.a.O., S. 1.

[4]             Montessori, Maria: Die Entdeckung des Kindes, a.a.O., S.VIII.

[5]             Schulz-Benesch, G.: Über Reden und Schriften Montessoris, in: Scheid, P. & Weidlich, H.,
                  Beiträge zur Montessori-Pädagogik, 1977, Donauwörth 1977, S. 145.

[6]             Kramer, R., Maria Montessori, New York 1976.

[7]             Montessori, M., Schule des Kindes, a.a.O., S.69 ff.

[8]             Montessori, M., Mein Handbuch, Stuttgart 1922.

[9]             Montessori, M., Das kreative Kind – Der absorbierende Geist, Freiburg/Br. 1975.

[10]           Vgl. auch Kramer, R., a.a.O., S. 264.

[11]           Montessori, Maria, Das kreative Kind, Der absorbierende Geist,
                  hrsg. G. Schulz-Benesch & P. Oswald, Freiburg/Br.1972.

[12]           Überliefert aus den Vorträgen vom internationalen Montessori-Kursus in Barcelona, 1933,
                  vgl. P. Scheid & H. Weidlich, a.a.O. S. 152f.

[13].         Kramer, R., a.a.O., S. 375.

[14]          nach Mario Montessori: Vorwort zu Montessori, M., The Advanced Montessori Method, engl. Ausgabe.

[15]           Internationaler Montessori-Kursus Barcelona 1938.

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