PDF

Doch ist die Ausrichtung einer Schule nach einem einzigen pädagogischen Konzept in der internationalen Schulentwicklung schon jahrelang überholt. Jede reformpädagogische Richtung bietet eine oder mehrere Stärken, Schwerpunkte, Entwicklungschancen und sicher auch Schwächen.

Zitiert aus: Eichelberger, Harald & Laner, Christian (Hrsg.): Zukunft Reformpädagogik. Neue Kraft für eine moderne Schule. Studienverlag. Innsbruck 2007.

Harald Eichelberger

Reformpädagogik in der Regelschule: Was ihr Kind davon profitieren kann

„Die Idee vom lebenslangen Lernen muss überdacht werden. Denn außer notwendigen Anpassungen an ein verändertes Berufsleben muss lebenslanges Lernen eine fortlaufende Entwicklung der Persönlichkeit jedes Menschen beinhalten, seines Wissens und seiner Fähigkeiten, doch auch seines Urteils- und Handlungsvermögens.“

Jacques Delors

Stellen Sie sich vor, Sie möchten Ihr Kind gerne in eine Montessori-Schule geben. Sie haben erkannt, dass Ihnen diese Pädagogik gefällt, und außerdem hat Ihr Kind schon einen Montessori-Kindergarten besucht. Was liegt näher, als dass Ihr Kind an einer Montessori-Schule seine Grundschulzeit verbringt. Und stellen Sie sich weiter vor, Ihr Kind muss nicht bis zu den ersten Septembertagen warten, um in die Schule gehen zu können, sondern kann selbst bestimmen, wann es in die Schule gehen möchte. Es wird sicher nicht erst mit sechs Jahren zur Schule gehen wollen, sondern wahrscheinlich schon viel früher. Immer wieder erlebe ich, dass vierjährige und fünfjährige Kinder durchaus in die Schule gehen können und hier vor allem eine Chance wahrnehmen: Kinder lernen, in die Schule zu gehen und mit dieser Institution zurecht zu kommen. Der Unterricht in einer solchen Schule und auch die gesamte die Kinder betreffende Organisation müssen den Entwicklungsphasen „des“ Kindes entsprechen, und eine Gruppe für vier- und fünfjährige Kinder wird entsprechend strukturiert sein und den Entwicklungsanforderungen und den sensiblen Phasen der Kinder auch gerecht zu werden versuchen: Aller Wahrscheinlichkeit nach werden „Erstes Schreiben und Lesen“, der „Beginn des Zählens“, das „Erfassen der Dimensionen“, die „Entwicklung der Sinne“ und dgl. mehr werden im Vordergrund der gemeinsamen Arbeit stehen. Eine flexible äußere Schulorganisation, in der nicht mehr ein starres Jahrgangsklassensystem vorherrscht, sondern die Kinder in altersheterogene Stammgruppen eingeteilt sind, kann die Entwicklung der Kinder entsprechend unterstützen:

 

Mögliche Schulstruktur nach Stammgruppen

 

vier- bis sechsjährige Kinder                       vier- bis sechsjährige Kinder

 

 

 

 

sechs- und siebenjährige Kinder

Schleusengruppe

 

 

 

 

sechs- bis neunjährige Kinder                  sechs- bis neunjährige Kinder              sechs- bis neunjährige Kinder

 

 

 

neun- bis zwölfjährige Kinder                  neun- bis zwölfjährige Kinder              neun- bis zwölfjährige Kinder

 

 

Der Übergang von einer Gruppe zur anderen Gruppe kann niemals starr sein, wie in unserem System der Altersklassen, sondern richtet sich nach dem Entwicklungsstand und dem Lernstand der Kinder. Die Einteilung nach dem Alter der Kinder ist eine wenig kindgerechte Einteilung. Jede Einteilung eines Kindes in eine Lerngruppe muss immer entsprechend flexibel gestaltet werden, und zu mehreren Zeiten des Jahres muss ein Wechsel möglich sein, um wirklich den Entwicklungsansprüchen und Lernansprüchen der Kinder gerecht werden zu können. Aus diesen Ansprüchen muss eine Diskussion um die Flexibilisierung der Schulorganisation auch die Gesamtdauer der Grundschulzeit und der Schulzeit der Sekundarstufe-I einschließen. Wir werden die Frage nach dem grundsätzlichen Beginn der Schulzeit, der Gestaltung der Schuleingangsstufe, die Modifizierung der Übergänge von einer Schule zur anderen (Nahtstellenproblematik) und die Dauer der einzelnen Schulphasen nach entwicklungspsychologischen und pädagogischen Gesichtspunkten immer neu stellen müssen, wenn wir eine kindgerechte Schule anstreben. So kann die Pflichtschule nach Erfahrungen der reformpädagogischen Schulen einerseits früher beginnen, muss aber anderseits im Grundschulbereich später enden. Ein Übertritt in eine weiterführende Schule mit 12 Jahren nach 7 bzw. 8 Jahren in der Grundschule ist entwicklungspsychologisch gesehen wesentlich sinnvoller als eine zu frühe Entscheidung mit dem 10. Lebensjahr.

Auf welchen pädagogischen Modellen beruht eine „kindgerechte“ Schule?

Wie schon in der Einleitung erwähnt ist für die Gestaltung einer kindgerechten Schule vor allem die Montessori-Pädagogik zu nennen. Ein Geheimnis ihres Erfolges ist mit hoher Wahrscheinlichkeit darin zu sehen, dass die Montessori-Pädagogik nicht von der Ärztin und Pädagogin Maria Montessori im Alleingang erfunden und geschaffen worden ist, sondern in wesentlichen Bereichen von den Kindern direkt oder indirekt mitgestaltet worden ist. Wie sie selbst betont, waren es die Kindern, die sie maßgeblich beeinflusst haben, eine kindgerechte Pädagogik zu kreieren.

„Es sei wiederholt: Ich habe nicht zuerst diese Grundsätze aufgestellt und nach ihnen dann meine Erziehungsmethode eingerichtet. Gerade das Gegenteil war der Fall. Nur die unmittelbare Beobachtung an Kindern, denen Freiheit gewährt wurde, hat mir bestimmte Gesetze ihres inneren Lebens offenbart, von denen ich später entdeckte, dass sie allgemeine Gültigkeit haben. Die Kinder waren es, die aus eigenem Antrieb den Weg, der zur Kraft führt gesucht und mit sicherem Instinkt herausgefunden haben.“[1]

Maria Montessori bietet ein in sich geschlossenes Modell mit einer klaren didaktischen Struktur, innerhalb derer Kinder an ihrer Selbstbildung arbeiten können. Für diese Möglichkeit der Selbstbildung stellt Maria Montessori eine „Vorbereitete Umgebung“ bereit, die dem jeweiligen Entwicklungsalter der Kinder entsprechen wird und in der die Kinder die für ihre Entwicklung notwendigen Entwicklungsmaterialien finden werden. Mit Hilfe dieser Entwicklungsmaterialien für die Entwicklung der Sinne, für die Entwicklung der Fertigkeiten des praktischen oder täglichen Lebens, für die Entwicklung des mathematischen Geistes, für die Entwicklung der Sprachfähigkeit des Kindes und die Entwicklung des naturwissenschaftlichen Geistes lernt das Kind an sich selbst zu arbeiten, den Lernprozess für sich selbst zu bestimmen, Verantwortung zu übernehmen und letztlich, wie Maria Montessori es ausdrückt „Meister seiner selbst“ zu werden.

Dazu bedarf es der Unterstützung der Lehrerin, die das Kind immer wieder anregen wird und es in diesem Selbstbildungsprozess intensiv begleiten wird und auch leiten wird. Sie ist es, die die „vorbereitete Umgebung“ immer den Entwicklungsschritten der Kinder anpassen wird, die genau beobachtet und den Kindern als Teil der „vorbereiteten Umgebung“ die notwendige professionelle Unterstützung bietet. Sie muss einerseits das Vertrauen in die Entwicklung der Kinder haben und anderseits selbst so qualitätsvoll in dem speziellen Modell der Montessori-Pädagogik arbeiten können, dass ein hoher pädagogischer Standard gesichert ist. In diesem Fall legt die Montessori-Pädagogik in den Kindern die Grundlage für das notwendige lebensbegleitende Lernen und für die Ausbildung und Ausformung der für die Bewährung in der Gesellschaft notwendigen Schlüsselqualifikationen, wie Initiativen ergreifen können, Teamfähigkeit, Verantwortung auf sich nehmen können, Solidarität und Entwicklung und Stärkung des eigenen Leistungsmutes … Wird die Montessori-Pädagogik richtig angewandt, so bietet diese eine Qualität und eine Aktualität, die bisher kaum überboten bzw. überholt werden konnte.

Doch ist die Ausrichtung einer Schule nach einem einzigen pädagogischen Konzept in der internationalen Schulentwicklung schon jahrelang überholt. Jede reformpädagogische Richtung bietet eine oder mehrere Stärken, Schwerpunkte, Entwicklungschancen und sicher auch Schwächen. Liegt die Stärke der Montessori-Pädagogik eindeutig in der didaktischen Ordnung des kindgerechten und selbst bestimmten und selbstständigen Lernens, so stellt sich der Jenaplan nach Peter Petersen als dezidiertes Schulentwicklungskonzept dar, in dessen Mittelpunkt der Erziehungsgedanke durch die Gemeinschaft steht. Die Bildung des Menschen erfolgt in der Jenaplan-Schule in den Bildungsgrundformen „Spiel“, „Gespräch“, „Arbeit“ und „Feier“ und die Kinder gehören nicht mehr einer Klasse von altersgleichen Kindern an, sondern einer Stammgruppe, in die Kindern von drei unterschiedlichen Jahrgängen (Lehrling, Geselle, Meister) gehen, an. Es ist die Erziehungsgemeinschaft, die den heranwachsenden Menschen bildet und formt und die Erziehungsgemeinschaft wird gebildet und bestimmt von den Menschen, die dieser Gemeinschaft angehören, den Eltern, den Lehrerinnen und Lehrern und den Kindern. Gelernt und gearbeitet wird in einer Jenaplan-Schule nach einem Wochenarbeitsplan, in dem die Bildungsgrundformen in rhythmischer Reihenfolge aufscheinen. Dieser Wochenarbeitsplan ersetzt auch den herkömmlichen Stundenplan. Lernorte für die selbstständige Arbeit sind oft die Bibliothek und das so genannte Dokumentationszentrum. Durch die flexible Struktur bestehend aus Stammgruppenarbeit und Kursen gibt es in der Jenaplan-Schule auch kein „Sitzenbleiberelend“ mehr.

Nichts, absolut gar nichts spricht dagegen, in einer Jenaplan-Schule selbst bestimmte und selbsttätige Arbeit nach der Montessori-Pädagogik einzurichten, ja mehr noch es wäre diese Kombination eine wesentlicher Entwicklungsschritt hin zu kindgerechten und modernen reformpädagogischen Schule. In einem weiteren oder anderen Entwicklungsschritt können ebenso Elemente der Freinet-Pädagogik in eine Jenaplan-Schule aufgenommen und integriert werden.

Auch in der Freinet-Pädagogik steht die selbst bestimmte Arbeit mit strukturierten Arbeitsmitteln im Zentrum des Lernens und Lebens in einer Schule, die so weit wie Schule dazu imstande ist, Modell eines demokratisch ausgerichteten Schullebens ist. Mitbestimmungen der Kinder erfolgen in einem Klassenrat und in einem Schulrat und diese Mitbestimmung ist Teil einer wichtigen pädagogischen Intention Célestin Freinets, das Leben in die Schule herein zu nehmen und dem in der Schule Gelernten „Lebensbedeutung“ zu geben. Schreiben erfolgt daher nicht um des Schreibens willen, sondern im Sinne der schriftlichen Mitteilung und auch mit dem Ziel des Bewirkens. Geschriebenes soll ebenso gelesen werden, publiziert werden, in der (Arbeits)Bibliothek zur Verfügung stehen. Arbeit geschieht nicht um der Arbeit willen, sondern zielgerichtet und steht ebenso anderen Menschen zu Verfügung. Gelernt und gearbeitet wird in Ateliers, die die Kinder mit den Lehrerinnen und Lehrern in den Klassen einrichten. Kommuniziert und korrespondiert wird über moderne Kommunikationsmedien, wie E-Mail und Internet. Arbeit ist in der Freinet-Pädagogik nach Möglichkeit „wirkliches Tun“. Célestin Freinet’s Prinzipien wie „Leben in der Schule“, „Arbeit“, „sinnvolles Lernen“, „Freiheit“ und „Verantwortung“ finden in der Existenzpsychologie Viktor Frankls eine begriffliche wie auch eine inhaltliche Entsprechung. Die menschliche Verwirklichung geschieht nach Viktor Frankl im wirklichen Tun in der Welt und im Leben. Dieses Tun beschreibt Viktor Frankl in einem schöpferischen, Sinn suchenden und Sinn findenden Tun in geistiger Freiheit, gebunden durch die Verantwortung.[2] Das Sinn-Finden in der eigenen Arbeit ist eine spezifisch humane Motivation des Menschen. Eine Pädagogik, die zur Sinn-Erfüllung des Menschen anleitet, erfüllt eine wesentliche Aufgabe der Menschenbildung und damit das pädagogische Postulat, dass Schule zu einem Sinn erfüllten Leben zu führen hat.

Die Einführung eines „neuen“ pädagogischen Konzeptes setzt in den meisten Fällen das Erkennen der Defizite des bestehenden Schulsystems voraus. Die dem Wesen des Daltonplanes[3] nach zentrale erzieherische Leistung verweist auf ein auch in unserem System noch bestehendes Defizit: …, dass sich die Heranwachsenden in konstruktiven Problemlösungen als lernfähig erfahren können. Einen weiter gefassten Rahmen dieser Lernfähigkeit bilden bei Helen Parkhurst die Begriffe „Daseinsbewältigung“ und „Lebenstüchtigkeit“.

Helen Parkhurst versucht mit dem Daltonplan, den Schwerpunkt der Schule auf das Lernen und nicht auf das Lehren zu verlegen. Im herkömmlichen Unterricht ist es die Aufgabe des Lehrers, darauf zu achten, dass der Schüler lernt. Ein wesentliches Prinzip des Daltonunterrichtes ist es aber, dass der Schüler selbst verantwortlich für seine Arbeit und seinen Fortschritt ist. Der Unterricht wird so abgehalten (Pensen, Wahlmöglichkeiten, Assignments, …), dass der Schüler versteht, dass das Lernen seine Sache ist und nicht die des Lehrers. Dem Schüler Verantwortung für sein Tun und sein Leben in der Schule zu geben, prägt ebenso dessen Selbstvertrauen und seine Fähigkeit, initiativ für sich selber zu werden.

Auch die schon diskutierten reformpädagogische Vorhaben sind meist von der Unzufriedenheit mit dem bestehenden Schulsystem oder dem Erziehungssystem ausgegangen. Dieser Umstand ist auch bei Peter Petersen, Célestin Freinet und Maria Montessori zu beobachten. Helen Parkhursts Kritik an der traditionellen Schulpädagogik kann anschaulich durch zwei Statements illustriert werden:

Die traditionelle Pädagogik betrachtet den Lernprozess des Schülers ausschließlich aus der Perspektive des Lehrenden, „durch das falsche Ende des Fernrohrs“ („through the wrong end of the telescope“)[4]. Diese gewohnte Perspektive erschwert das Verständnis der Hypothese Helen Parkhursts, dass jeglicher Lernfortschritt aus der Eigenaktivität des Lernenden entspringen muss. Dieser Punkt bereitet unter Umständen manchen Pädagogen in ihren Vorstellungen Schwierigkeiten. Ist es doch nicht leicht, die Eigenaktivität des Lernenden zum Prinzip zu erheben und doch die pädagogische Steuerung des Unterrichtes nicht außer Acht zu lassen. Hier ergibt sich vor allem für die Lehrer ein überaus spannender Lernprozess.

Die Pädagogik des Daltonplanes soll zur Entfaltung von Persönlichkeitswerten führen, wie „industrious, sincere, open-minded und independent[5] (fleißig, aufrichtig, aufgeschlossen und unabhängig). Helen Parkhurst bezieht die schulische Bewältigung der Lebensaufgaben stets auf die gegenwärtigen Erfahrungen der Schüler. Ähnlich wie bei Maria Montessori wird die Bewältigung der gegenwärtigen Aufgaben als die beste Vorbereitung auf das künftige Leben angesehen. Damit ergibt sich eine gänzlich neue Sicht der Frage, ob die Schule überhaupt – und wenn ja, wie – die Aufgabe habe, auf das künftige Leben vorzubereiten, oder ob sie nicht vielmehr die Aufgabe hätte, sich der optimalen Entwicklung der personellen und sozialen Fähigkeiten des Individuums im „Hier und Jetzt“ zu widmen, was die beste Vorbereitung auf die Zukunft jedes Menschen sein kann. „To become masters not only of our time and work, but of ourselves, is a real preparation for life.“[6] Und Maria Montessori formuliert ganz ähnlich: „ … Meister seiner selbst zu sein“,[7] ist ein wesentliches Erziehungsziel einer Pädagogik der Selbstbestimmung.

Die Aktualität der kindgerechten und damit reformpädagogischen Schule

Die Europäische Kommission hat vier Stützen als Grundlage der Bildung und damit auch des lebensbegleitenden Lernens erarbeitet und vorgestellt. Es sind dies: „Lernen zu lernen“, „Das Gelernte anwenden“, „Lernen für das Leben“ und „Zusammenleben lernen“.

Lernen zu lernen

Dieses Bildungsvorhaben bedingt eine radikale Veränderung unseres Bildungssystems. Mit Lernen lernen ist nicht nur die möglichst ökonomische Aneignung von Wissen gemeint, das Beherrschen von Lerntechniken, wie ich möglichst schnell, mit möglichst wenig Mühe möglichst viel Stoff aufnehmen kann oder wie ich eben die Idee des Nürnberger Trichters verbessern kann. Gut, wenn ich solche Lerntechniken beherrsche. Für lebensbegleitendes Lernen ist dies aber zu wenig. Soll Lernen mein Leben begleiten, so wird meine Fähigkeit des Lernens erstens eine sein müssen, die ich als lustvoll empfinde und nicht mit den Erinnerungen des in der Regel unlustigen Schulalltags so belastet ist, dass ich Situationen des Lernens eher vermeide als suche. Zweitens werde ich Lernen als eine Fähigkeit fühlen und empfinden müssen, die zum Aufbau und zur Integration meiner eigenen Persönlichkeit entscheidend beigetragen hat und noch immer beiträgt. In diesem Sinne muss ich Lernen selbst als eine Fähigkeit integriert haben, die ich mir einerseits in selbstständiger und selbsttätiger Arbeit angeeignet und mich anderseits permanent in dem positiven Bewusstsein leben lässt, dass ich durch meine Initiative und Flexibilität meine Lebenssituation in einer bestimmten Lebensgemeinschaft verbessern kann. Dieses Bewusstsein kann ich als Lernender nur entwickeln, wenn ich selbst bestimmt, selbsttätig und auch in eigener Verantwortung in der Schule lernen kann, wie es in reformpädagogischen Schulen möglich ist und mit Erfolg praktiziert wird.

Lebensbegleitendes Lernen ist somit auch eine Fähigkeit bewusst positiver Lebensführung und Lebenseinstellung und kann auch nur in einer Lernsituation erworben werden, in der initiatives Handeln, selbständiges und selbsttätiges Arbeiten und entdeckendes und forschendes Lernen im Vordergrund der didaktisch-methodischen Orientierung der Institution Schule stehen.

Ich wage die These und bin zur Diskussion bereit: Lebensbegleitendes Lernen wird der Lernende wahrscheinlich nur dann als die beschriebene Fähigkeit internalisieren können, wenn er über sein Lernen und damit auch über die Form und die Inhalte seines Lernens selbst bestimmen kann und sein Lernen immer ein vorwiegend selbst bestimmter Lebensprozess ist.

Die Besinnung auf lebensbegleitendes Lernen muss unsere Schulen in dem Sinne verändern, dass die Initiative des Lernenden, seine intellektuelle, soziale und emotionale Kreativität den schulischen Alltag bestimmen, Schule ein Ort des gemeinsamen Lernens und Lebens aller an der Schule Beteiligten – also der Eltern, Kinder und Lehrer – wird und die Schule befreit wird von Unterdrückungsritualen, wie Beurteilungen und „Sitzenbleiben“. Ich verweise hier ausdrücklich auf die Jenaplan-Schulen, in denen es kein Sitzenbleiberelend gibt und die mitverantwortlich von allen gestaltet wird, die in diese Schule gehen und in ihr leben. Gleichzeitig muss sich Schule selbst als lernendes System erfassen und bestimmen können, das sich flexibel auf die Bedürfnisse und Interessen der Lernenden in den Bereichen der Schulorganisation und des didaktischen Systems einstellen kann. Doch Schule kann nur ein Lernendes System sein, wenn sie selbst als selbständige Einheit veränderbar und anpassbar ist. Innerhalb eines grundsätzlich protektionistisch ausgerichteten und hierarchisch geordneten Systems ist Schule selbst nicht lernfähig und wird nur in einem sehr eingeschränkten Maß ihre Schüler zum lebensbegleitenden Lernen erziehen können.

Das Gelernte anwenden

Sie kennen sicher den Satz: „Das lernen wir, weil wir es später im Leben einmal brauchen werden. Hand aufs Herz, wie viel haben wir schon gelernt, was wir nie wieder gebraucht haben, und wie viel haben wir umgekehrt in der Schule nicht gelernt, was wir sehr nötig gebraucht hätten? In der doch sehr schnelllebigen Zeit können wir nicht mehr mit lehrerhafter Sicherheit wissen, welches Wissen wir einmal brauchen werden. Diese Orientierung an der Zukunft funktioniert nicht mehr, wenn sie überhaupt jemals funktioniert hat. Wenn wir lebensbegleitendes Lernen als eine Besinnung verstehen, so wird lebensbegleitendes Lernen eine Orientierung des Lernens auf das Hier und Jetzt des Lernenden sein müssen. Eine (jetzt) notwendige Arbeit zu bewältigen, sich auf eine neu auftretende Situation einstellen zu können, im Team mit anderen Menschen an einer Aufgabe arbeiten zu können, etwas praktisch anwenden, etwas weiterentwickeln zu können, sind Fähigkeiten, die uns wahrscheinlich lebenslang begleiten werden, die wir jetzt und in der Zukunft brauchen werden. Wiederum: Soll Lernen lebensbegleitend werden, so muss ich diese Fähigkeiten in der Schule erwerben können, und es besteht kein Zweifel, dass ich diese Fähigkeiten im Leben brauchen werde. Kinder in Montessori-Schulen können sich auf das Lernen im Hier und Jetzt konzentrieren. Sie wählen aus den Entwicklungsmaterialien, was sie für ihre aktuelle individuelle Entwicklung brauchen, denn sie wissen am besten, in welcher sensiblen Phase sie sich eben befinden. Hier findet ein Lernen nach den Interessen und Bedürfnissen statt, in der Entwicklung des mathematischen Geistes, in der Entwicklung der Sprache und beispielhaft auch in der Kosmischen Erziehung, die dann beginnen wird, wenn die Kinder mit ihren berühmten Warum-Fragen zu kleinen Philosophen werden. Jedes Bildungsgeschehen ist aktuell immer der optimalen Entwicklung des Kindes verpflichtet.

Lernen für das Leben

Ich gehe von der pädagogischen These aus, dass die Schule primär der optimalen Entwicklung und Förderung des Kindes und seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten verpflichtet ist und dass eine in diesem Verständnis stehende kindorientierte Pädagogik die beste Voraussetzung ist, dass diese Kinder auch einmal die Gesellschaft, in die sie hineinwachsen, nach ihren eigenen Vorstellungen, nach ihrem Denken und Fühlen gestalten können. Wir sind in unserem Denken viel zu sehr daran gewöhnt, dass die Gesellschaft an die Institution Schule wie selbstverständlich Anforderungen stellen kann. Wahrscheinlich tun dies die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen sogar zu recht. Mindestens ebenso überlegenswert ist aber der pädagogische Gedankengang, dass Schule nicht dazu da ist, um ausschließlich Kinder auf die Gesellschaft, in der sie jetzt leben, vorzubereiten, sondern vielmehr um sie so zu erziehen, dass sie (die Kinder) diese Gesellschaft einmal nach ihren Vorstellungen formen und bilden können. In diesem Sinne sehe ich in der Schule keine Institution, die Kinder „für“ etwas erziehen soll, sondern eine Institution, die Kindern zu Selbständigkeit und Eigenständigkeit innerhalb der Gesellschaft, in der sie leben, verhelfen soll. Lebensbegleitendes Lernen heißt auch Bereitschaft zur Veränderung. Die Bereitschaft zur Veränderung bedingt wiederum den in einem hohem Maß lebenslang lernwilligen und lernfähigen Menschen.

Zusammenleben lernen

Die Gesellschaft der Gegenwart ist bereits eine interkulturelle Gesellschaft. Ich hoffe, dass die Gesellschaft der Zukunft eine integrative und eine inklusive Gesellschaft sein wird. Es sind dies nur zwei Trends, die einen weiteren Wandel in unserer Gesellschaft kennzeichnen. Pädagogik muss auf diesen Wandel rechtzeitig reagieren, kann auch darauf reagieren und hat dies auch schon getan. Das Problem der Pädagogik besteht in diesem Zusammenhang vielmehr darin, noch immer viel zu wenig gehört zu werden. Probleme, die bei einem gemeinsamen Lernen von Menschen verschiedenartigster Herkunft einfach bestehen und Probleme, die beim gemeinsamen Lernen von behinderten und nicht behinderten Menschen bestehen, sind Probleme aller Menschen und nicht nur die Probleme von „Ausländern“ und „Behinderten“. Lösungen, Konzepte und Strategien, die wir gemeinsam finden, sind Lösungen, Konzepte und Strategien für alle Menschen. Pädagogische Wortgewalt ist zu wenig, um die weitreichenden Ideen eines lebensbegleitenden Lernens in der gesellschaftlichen Realität durchgehend wirksam werden zu lassen. Vielmehr als neue Ideen in der Pädagogik braucht eine interkulturelle und integrative Gesellschaft den Mut, vorhandene pädagogische Vorstellungen einer individualisierenden Pädagogik endlich einmal umsetzen zu wollen.

Lernen als lebensbegleitende Fähigkeit bewusster Lebensführung, die ich mir einerseits in selbstständiger und selbsttätiger Arbeit angeeignet habe, setzt pädagogische Konzepte voraus, die selbstständige und selbsttätige Arbeit und somit eigenständige Arbeit an sich selbst ermöglichen, unterstützen und immer wieder weiterführen können. Lebensbegleitendes Lernen fordert die Möglichkeit, Schule nach den pädagogischen Modellen und Konzepten zu gestalten, die selbst bestimmtes Lernen im oben genannten Sinn verwirklichen helfen können. Die Entwicklung der Schule braucht eine Didaktik der Unterrichts- und Schulentwicklung, Klarheit in der weltanschaulichen Orientierung und Radikalität im pädagogischen Konzept. Wesentliche Perspektiven für eine solche Entwicklung können der „Entwicklungsdidaktik“[8] entnommen werden.

Basiskompetenzen statt Allgemeinbildung (?)

Auch reformpädagogische Schulen kommen nicht um die grundsätzliche Frage herum, was ein heranwachsender Mensch den lernen müsse, um als gebildet gelten zu können. Mit der exorbitanten Zunahme des Wissens in dieser Welt, wird dies Frage nach Meinung vieler Bildungswissenschafter aber sekundär. Stand noch zur Schulzeit der heutigen Elterngeneration die Frage nach dem Bildungskanon und dessen Beschaffenheit im Vordergrund, so wird heute zunehmend die Frage nach den so genannten Basiskompetenzen oder Schlüsselqualifikationen, die die Kinder in der Schule erwerben sollen, gestellt. Auch nach den Ergebnissen der PISA[9]-Studie wird eindeutig der Erwerb folgender Basiskompetenzen als didaktische Orientierung der Schulpolitik empfohlen:

–       Für sich selbst verantwortlich sein können;

–       Initiativkraft entwickeln;

–       Flexibilität und Problemlösungsverhalten;

–       Teamfähigkeit;

–       Leistungsmut;

All diese Kompetenzen werden zwischen dem 5. und 15. Lebensjahr, also in der Pflichtschulzeit erworben. Der Erwerb dieser Schlüsselqualifikationen ist Voraussetzung und gleichzeitig Mittel zur Selbstbildung und zur gültigen Allgemeinbildung, deren Inhalte maßgeblich und selbst verantwortlich vom Lernenden selbst mitbestimmt werden. Das ist der Weg, die Methode, die Lernen zu einem nachhaltigen Erleben und zu einer lebensbestimmenden und lebensbedeutenden Fähigkeit werden lassen. Der Versuch, Bildung zu vermitteln ohne den Basiskompetenzen zu ermöglichen, ist lediglich Anhäufung von mehr oder weniger totem Wissen. Der pädagogische Fortschritt im schulischen Lernen muss in der konsequenten didaktischen und methodischen Reform der Schulen bestehen, dass der Erwerb der Basiskompetenzen unbedingte Grundlage des zur Bildung fähigen Menschen ist und dass der gebildete Mensch der zum Selbstwirksamkeitskonzept fähige Mensch ist. Wir bleiben trotz oder gerade wegen dieses Besinnungswandels dabei: Der Mensch bedarf der Bildung als eines seiner wichtigsten und notwendigen Wesensmerkmale, und Bildung ist zweifelsohne eine der wichtigsten Ressourcen unserer Gesellschaft. Die Aneignung von Bildung muss aber verbunden sind mit einem – und das ist wichtiger als die Bildungsinhalte selbst – Selbstwirksamkeitskonzept, mit der Fähigkeit des Menschen sich in die Welt hineinwagen, mit Neugierverhalten, mit Forschen und mit Entdecken können. Was Kinder brauchen ist die Entwicklung des Neugierverhaltens. Mit Druck und Zwang bekomme ich viel Wissen in die Köpfe der Kinder, aber kaum stimulierende Erfahrungen.

Diesen existenziellen und wesentlichen Zusammenhang noch wesentlich tiefer erörternd hat Jean Piaget auf den Zusammenhang von selbst bestimmten, forschenden, entdeckenden Lernen und der Ausbildung der Moralität des Menschen hingewiesen. Jean Piaget führt sinngemäß aus, dass nur der Mensch, der in seinem Menschwerdungsprozess – und damit auch in seinen fundamentalen Lernprozessen – immer wieder Wahrheiten selbst bestimmt und forschend entdecken durfte – zur Entwicklung von Moralität den Mitmenschen, der Welt und sich selbst gegenüber fähig sei.

Richard Feynman sieht die Befähigung zum Forschen, die Möglichkeit, Antworten selbst zu finden in einem relativierenden Kontext, die Ich-Stärke des Individuums hervorhebend: „Ich glaube, es ist sehr viel interessanter, etwas nicht zu wissen, als Antworten zu haben, die vielleicht falsch sind. Ich habe für manches annähernde Antworten, halte manches für möglich und weiß verschiedene Dinge mit unterschiedlicher Gewissheit. Aber es gibt nichts, dessen ich mir vollkommen sicher bin, und es gibt viele Dinge, über die ich gar nichts weiß … Es beunruhigt mich nicht, dass ich etwas nicht weiß, dass ich verloren und ohne Plan in einem Universum lebe, denn so ist es ja wirklich, soweit ich sehe. Es macht mir keine Angst.“

Exkurs: Die Schädlichkeit des Fernsehens: hier kann ich als Kind nichts gestalten, nichts wagen – ich gebe mich vor dem Schirm auf! Der Lernprozess heißt: das Geschehen läuft ohne mich ab – Störung des Selbstwertkonzepts, Störung der sozialen und emotionalen Kompetenz.

Kinder brauchen Herausforderung und damit Wachstumsimpulse, indem sie Probleme als solche erkennen und nach Problemlösungen suchen können; das schließt auch den Umgang mit dem Scheitern mit ein. Dieser Besinnungswandel betrifft auch die Lehrerinnen und Lehrer mehr als es im ersten Augenblick den Anschein hat. Die für den skizzierten Bildungsanspruch notwendige Verbundenheit des/der Lehrerin mit den Schülerinnen, ist verpflichtet

–       dem Schutz, der Entfaltung und der Entwicklung des Lebens,

–       einem gegenseitigen und immer reversiblen Vertrauensprinzip und

–       einem Bündnis: die Lehrerin/der Lehrer ist immer auf die Mitwirkung der Schülerinnen und Schüler angewiesen und umgekehrt.

–       Die Lehrerin/der Lehrer darf grundsätzlich nur dem Nutzen des Kindes dienen. Das Ausgeliefertsein des Kindes darf niemals ausgenützt werden.

–       Die Lehrerin/der Lehrer ist der Selbstbegrenzung von Macht verpflichtet.

Ich betone in diesem Zusammenhang ein notwendiges neues Selbstbewusstsein der Profession des/der Lehrerin: Bedeutend für das Selbstbewusstsein der Lehrerinnen und Lehrer ist die Betonung des Eigensinns und der Eigenlogik von Bildung! Lehrerin-Sein ist nicht bloß eine Dienstleistung; diese besteht nur auf der Basis eines Vertrages; die Verpflichtung des/der Lehrerin basiert hingegen auf ethischen Prinzipien: Jede Erziehung muss grundsätzlich darauf angelegt sein, dass der/die Erzieherin nicht über den zu Erziehenden verfügt. Und Erfahrung der Schülerinnen und Schüler muss sein: Jede Erziehung muss grundsätzlich darauf angelegt sein, dass es auf die Kinder selbst in ihrem Tun ankommt.

Eine Schule auf der Grundlage reformpädagogischer Konzepte

Eine Lehrer, ein Lehrer stellt (s)eine Schule vor, die nach den Vorstellungen der Reformpädagogik entwickelt worden ist: Das Interesse an pädagogischen Modellen, die eine möglichst optimale Entwicklung des Individuums in einer bestehenden Gemeinschaft zum Ziel haben und eine geeignete Ergänzung zu unserem Unterrichtskonzept, das ja schon vorhanden war, darstellen, war der eigentlich Ausgangspunkt unserer Schulentwicklung. Es ist aber nicht möglich, ohne tief greifende Erfahrung einfach festzulegen, was ich an Elementen oder Prinzipien aus den dafür in Frage kommenden pädagogischen Modellen „herausnehmen“ kann. Es bedurfte einer guten Ausbildung in den reformpädagogischen Modellen der Montessori-Pädagogik, der Freinet-Pädagogik, der Jenaplan-Pädagogik und auch der Daltonplan-Pädagogik. Erst nach intensivem Studium, etlichen Hospitationen, entsprechendem Erfahrungsaustausch mit Schulen, die eine ähnliche Schulentwicklung ausprobiert haben und langer eigener pädagogischer Erfahrung ist es möglich, an die Entwicklung eines eigenständigen pädagogischen Modells heranzugehen.

Heutzutage würde man sagen, dass eine der wesentlichen Schwierigkeiten bei der Entwicklung eines „reformpädagogischen“ Schulmodells in der „Kompatibilität“ liegt und damit in der Frage, was zusammenpasst und was nicht und auch darin, die Klarheit eines pädagogischen Zieles nicht zu verlieren. Spezifika der einzelnen Richtungen zeigen sich dann auch klar in der Schulorganisation.

Schulorganisation

Von Maria Montessoris Idee eines Kinderhauses ausgehend, ist unsere Schule nicht nur eine Schule, sondern eine Institution, die Kindergarten und Schule verbindet, eben ein Haus der Kinder. Kinder können ab dem vollendeten dritten Lebensjahr in die so genannte Kindergartengruppe eintreten. Das ist auch während des Jahres möglich. Der Kindergarten ist grundsätzlich nach den Prinzipien der Montessori-Pädagogik aufgebaut und eingerichtet. Notwendige Ergänzungen, wie z. B. im künstlerischen oder rhythmischen Bereich sind integriert worden.

In der Kindergartengruppe finden sie Kinder im Alter von ca. 3 – 5 Jahren. Da Kindergarten und „Schule“ unter einem Dach sind, bestimmen zu aller erst einmal die Kinder, wann sie denn in die „Schule“ gehen möchten. Der Übergang kann für die Kinder variabel und fließend gestaltet werden. Das bedeutet, dass Kinder, die in die „Schule“ gehen möchten, auch wieder in den Kindergarten zurückkehren können und sich vielleicht nach einiger einen neuen Anlauf in die Schule nehmen können, bis sie dann in der ersten „Schulgruppe“ heimisch geworden sind. Die erste Schulgruppe sind die 5 – 7-jährigen Kinder. Das bedeutet, dass Kinder so ab dem 5. Lebensjahr „in die Schule gehen“ können, mit Abschluss des 7. Lebensjahres der Schulbesuch obligat wird. Selbstverständlich wird der Übertritt intensiv pädagogisch begleitet, von Eltern und den Pädagogen.

Aus der Gruppeneinteilung wird auch sichtbar, dass die Stammgruppen unserer Schule nach dem Prinzip der Altersheterogenität aufgebaut sind. Wir dürfen von folgender ungefährer Einteilung ausgehen:

3 – 5-jährige Kinder – Kindergarten

5 – 7-jährige Kinder – erste Schulgruppe

7/8 – 9/10-jährige Kinder – Mittelgruppe

9/10 – 12-jährige Kinder – Obergruppe

Es sind dies Stammgruppen, wie sie auch Peter Petersen in seinem Jenaplan vorgeschlagen hat. Das Prinzip der Altersheterogenität finden wir in fast allen reformpädagogischen Richtungen verwirklicht. Diese Einteilung in Stammgruppen bedingt auch, dass wir die Verweildauer des einzelnen Schülers an unserer Schule nicht mehr nach Schuljahren, sondern nach „Lernjahren“ rechnen. Der tiefergehende pädagogische Wert dieser Maßnahme liegt auch darin begründet, dass sich das Lernangebot, das ein Schüler an unserer Schule erhält, nach seinem individuellen Lernfortschritt und seiner Begabung richten muss und nicht nach einem nach Schuljahren festgelegten Lehrplan.

Unsere Schule ist eine Ganztagsschule. Unsere Schule ist ab sieben Uhr morgens für die Kinder geöffnet, die schon kommen wollen und für die, die eben aus irgendwelchen Gründen kommen müssen. Der gemeinsame Unterricht beginnt allerdings um 8,30 Uhr. Der gemeinsame Schultag dauert bis 16 Uhr. Kinder können freiwillig noch bis 17 Uhr verbleiben. Mittagspause dauert mehr als eine Stunde. Selbstverständlich können die Kinder in der Schule auch Mittagessen bekommen, wenn sie dies wünschen.

Es gibt es an unserer Schule keine Einteilung in Jahrgangsklassen mehr, und es gibt auch keinen Stundenplan. Nach den Ideen von Peter Petersen haben wir den Tagesablauf rhythmisiert. Hier orientieren wir uns auch an den Bildungsgrundformen, die da heißen Arbeit, Gespräch, Spiel und Feier. So beginnen die meisten Tage mit einem Gespräch oder mit einer Feier, werden fortgesetzt mit einer Phase der Arbeit, die wiederum von einer anderen Arbeitsphase oder einer Spielphase abgelöst werden. Der Rhythmus unterscheidet sich von Stammgruppe zu Stammgruppe. Die Rhythmisierung bietet vor allem für die Kinder einen wichtigen Lern- und Lebensrhythmus für sein Schulleben.

In unserer Schule werden Arbeitsphasen vor allem bei jüngeren Kindern als Freiarbeitsphasen nach den Prinzipien der Montessori-Pädagogik gestaltet, und auch die vorbereitete Umgebung entspricht diesem Vorhaben und den Sensibilitäten der Kinder. Neben den Freiarbeitsphasen gibt es auch den gemeinsamen Unterricht. Dieser kann nach Absprache in den Lehrerkonferenzen auch als „Niveauunterricht“, der nach Leistung differenziert – zumindest zeitweise – abgehalten werden. Prinzipiell gilt aber für jeden Unterricht die Aufforderung Peter Petersens, eine „pädagogische Situation“ herzustellen, eine Situation, in der Kinder, von dem, was sie lernen sollen, auch innerlich berührt werden. Gemeinsame Projekte haben demnach immer einen Bezug zur Lebenswirklichkeit unserer Schüler. In manchen Gruppenräumen werden sie auch Ateliers finden. Célestin Freinets Pädagogik ist den Intentionen mancher Kolleginnen oder Kollegen nach, in manchen Gruppen integriert. In der Einrichtung des Schülerparlaments ist uns die Pädagogik Célestin Freinets eine willkommene Grundlage, wie auch in der freien Meinungsäußerung und den Veröffentlichungen, die es an unserer Schule gibt.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass mit dem zunehmenden Alter der Kinder, sich auch die Bedürfnisse für die so genannte Freiarbeit ändern. Aus diesem Grund arbeiten ältere Kinder an unserer Schule in speziell eingerichteten Räumen. Sie könnten diese Räume eine „Lernlandschaft“ nennen oder auch eine pädagogische Werkstätte. Es gibt einen Raum, der als Arbeitsbibliothek, einen anderen, der für naturwissenschaftliche Studien, einen, der als Werkstätte eingerichtet ist usw. Wir haben uns entschieden, den älteren Kindern individuelle Lernaufgaben zu geben, die in einen gewissen Zeitrahmen eingebettet sind. Helen Parkhurst hat diese Lernaufgaben auch als „Assignments“ mit klar definierter Struktur beschrieben. Diese Lernaufgaben beinhalten auch ein klar definiertes Lernziel für den Schüler und mögliche Wege, dieses zu erreichen. Die Evaluation oder Bewertung der Erreichung des Zieles wird gemeinsam vorgenommen, sodass Schüler auch lernen, ihre eigene Arbeit zu beurteilen.

Demokratische Struktur

Wichtigstes demokratisches Forum der Schule ist die so genannte Schulkonferenz. In der Schulkonferenz sind alle Lehrerinnen und Lehrer vertreten, die jeweilige, auf Zeit bestellt Vertretung der Schule – wir nennen diese Vertretung absichtlich nicht Schulleitung -, die Schülervertreter und die Elternvertreter. Die Schülervertreter werden im Schülerparlament gewählt, einer ständigen Einrichtung der Schule, die in regelmäßigen Abständen zusammentritt.

Da wir keine festen Klassen an der Schule haben, werden die Mitglieder des Schülerparlaments in einer Vollversammlung gewählt. Es können Vertreter von Interessensgruppen, die sich frei bilden, oder auch von in der Schulorganisation verankerten Stammgruppen gewählt werden. Was aber noch wichtiger ist: Unsere demokratische Struktur ist lebendig, sie ist veränderbar. Das ist zwar sehr mühsam, aber konsequent und wertvoll. Die Vertreter der Eltern werden ebenso in einer Vollversammlung gewählt. In der Schulkonferenz haben dann alle Mitglieder der Schulkonferenz das gleiche Stimmrecht. Es mag paradox klingen, aber es gibt für die Erziehung zur Demokratie noch etwas Wichtigeres als ein Stimmrecht innezuhaben. Dies ist die Möglichkeit, demokratische Strukturen verändern zu können und sie für die an einem demokratischen Prozess beteiligten gerecht gestalten zu können. In diesem Sinne ist das Erleben eines verantwortungsvollen Umgangs mit demokratischer Macht und die Reflexion darüber eine unabdingbare pädagogische Bedingung.

In der Schulkonferenz werden alle für die schulische Arbeit notwendigen Beschlüsse gefasst. Leiter der Schulkonferenz sind der jeweilige Schulvertreter und dessen Stellvertreter. Es gibt keinen vom Schulerhalter oder von der Gemeinde oder den politischen Parteien bestellten Schulleiter mehr. Der Schulvertreter wird für zwei Jahre gewählt und kann sich nach seiner Vertretungsperiode der Wiederwahl stellen.

Lebensbegleitendes Lernen bedeutet für die einzelne Schule (auch), dass sich diese öffnen können muss für die Bedürfnisse und Interessen der sie regional umgebenden Gesellschaft. Warum soll in Zukunft Schule nicht auch als Einrichtung der Erwachsenenbildung genutzt werden können? Warum kann Schule nicht als Modell demokratischer Lebensform mit weitgehenden Mitbestimmungsmöglichkeiten aller an der Schule beteiligten Personen geführt werden? Und warum sollte Schule nicht auch von privaten Vereinen genutzt werden können, die sich der Erziehung und Bildung der Kinder widmen. Es sind dies nur einige Ideen zur Öffnung der Schule, die uns zeigen, dass auch die einzelne Schule – und damit auch das gesamte Schulwesen – ihr Rollenverständnis bei der Verwirklichung eines Konzeptes des lebensbegleitenden Lernens radikal ändern wird müssen.

Um diesem Ziel einer nach den Prinzipien der Selbstbestimmung und Selbständigkeit gestalteten Schule näher zu kommen, bedarf es nicht einer Schulreform – im Sinne der Wiederherstellung eines Zustandes nach altem (hierarchisch gesteuerten) Muster – oder einer Schulerneuerung von oben herab, sondern einer Schulentwicklung, die den pädagogischen Prinzipien der reformpädagogischen Konzepte konsequent entspricht.

Schulentwicklung

Entwicklung der Schule beinhaltet grundsätzlich die Beteiligung und volle Einbeziehung der direkt Betroffenen, der Lehrerinnen und Lehrer, der Eltern und auch der Schüler. Sie sind es, die ihre eigene Schule entwickeln können und im Sinne einer Selbstbestimmung auch müssen. Erklärt man sich mit dieser Voraussetzung einverstanden, wird klar, dass sich Schulentwicklung nicht nur auch die Schulgestaltung einer einzelnen Schule beziehen wird, sondern – wie schon eingangs erwähnt worden ist – eine strukturelle Veränderung des gesamten Schul- und Bildungswesens des Staates erfordert.

Ich sehe in diesen Konzepten des selbst bestimmten Lernens eine unabdingbare Grundlage für das Erlernen der Fähigkeit des lebensbegleitenden Lernens. Als Voraussetzung dafür muss auch die Selbstbestimmung der (einzelnen) Bildungsinstitution Schule möglich werden. Die Entwicklung eines eigenständigen, didaktisch fundierten pädagogischen Konzeptes, (Vgl. Eichelberger, Harald & Wilhelm, Marianne: Entwicklungsdidaktik. Wien 2003!) die Organisation des inneren Bereiches der Schule, z.B. nach altersübergreifenden Lerngruppen an Stelle von starren Jahrgangsklassen, die Gestaltung des Lehrplanes, die Innovation eines Systems der Bewertung von Leistungen der Schüler und der Lehrer und auch die weitestgehende Kooperation zwischen Schulen können der autonomen Gestaltung einer Schule überantwortet werden. Lehrer, Eltern und Schüler sind durchaus in der Lage in einem Entwicklungsprozess, ihre eigene Schule nach ihren pädagogischen Vorstellungen und Notwendigkeiten zu gestalten, sofern sie dies auch tun wollen. Dazu ist Hilfe nötig. Doch: Wer sich nicht selbst entwickeln darf, wird nur schwerlich anderen Menschen in ihrer Entwicklung behilflich sein können, auch nicht in ihrer Entwicklung zur Fähigkeit eines lebensbegleitenden Lernens.

 



[1]             Montessori, Maria: Das Kind in der Familie und andere Vorträge. Wien o. J., S. 84

[2]             Teigeler, Peter, Freinet-Pädagogik, psychologische Lernmotivationstheorie und Viktor E. Frankls „Wille zum Sinn“, in: Hellmich, A./Teigeler, P. (Hrsg.): Montessori-, Freinet-, Waldorfpädagogik, Weinheim/Basel 1994, S. 134ff.

[3]             Die Bezeichnung „Plan“ wird verwendet für die in der reformpädagogischen Bewegung der Jahrhundertwende und zu Beginn unseres Jahrhunderts entstandenen Reformprojekte, wie z. B. auch Jenaplan, Winnetkaplan, Puebloplan, usw.

[4]             Parkhurst, Helen, Education on the Dalton Plan. S. 23

[5]             fleißig, aufrichtig, geistig offen und unabhängig

[6]             Parkhurst, Helen, Education on the Dalton Plan. S. 100

[7]             Montessori, Maria, Grundlagen meiner Pädagogik, Heidelberg 1968 (München 1934), S. 23 und Standing, E. M., Maria Montessori, Über die Bedeutung der Übungen des täglichen Lebens, Oberursel o. J.

[8]             Eichelberger, Harald & Wilhelm, Marianne: Entwicklungsdidaktik. Wien 2003.

[9]             Projekt of international student assessment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert