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Der Daltonunterricht entstand als eine praktische Lösung für ein praktisches Problem. Im Jahre 1904 wurde die junge amerikanische Lehrerin Helen Parkhurst, nach minimaler Ausbildung, zur Leiterin der Einlehrerschule im Dorfe Waterville, Wisconsin, ernannt. Zu der Zeit war der Klassenunterricht noch vorherrschend – aber eine Unmöglichkeit, wenn man mit sechs oder mehr Klassen (Jahrgangsklassen – Anm. des Hg.) gleichzeitig arbeiten musste. Helen Parkhurst wählte daher eine andere Didaktik, eine andere Methode. Sie erkundigte sich bei jedem Kinde, was es während der kommenden Woche zu lernen beabsichtige. Die Antworten der Kinder wurden aufgeschrieben, und es wurden Verabredungen getroffen: Die Schüler versprachen mit diesem „Kontrakt“, am Ende der Woche mit der vereinbarten Arbeit fertig zu sein. Die Lehrerin versprach, jede notwendige Hilfe zu leisten, wenn sie nicht mit einer Gruppe beschäftigt war. Hatte die Lehrerin keine Zeit, durften die Schüler andere um Hilfe bitten. Die Schüler durften selbst wählen, wo und mit wem sie ihre Arbeit machen würden und mit welchem Lernfach sie sich beschäftigen wollten.

Janssen, C. J.: Der Daltonunterricht. In: Eichelberger, Harald: Lebendige Reformpädagogik. Innsbruck 1997. StudienVerlag

 

 C. J. Janssen

Der Daltonunterricht

…, dass sich die Heranwachsenden in konstruktiven Problem­lösungen als lernfähig erfahren können.“

Das Grundprinzip besteht also darin, die (traditionellen) Lehrstrategien in eine Didaktik der Aneignungsstrategien zu übersetzen.“

Helen Parkhurst

Der Daltonunterricht entstand als eine praktische Lösung für ein praktisches Problem.

Im Jahre 1904 wurde die junge amerikanische Lehrerin Helen Parkhurst, nach minimaler Ausbildung, zur Leiterin der Einlehrerschule im Dorfe Waterville, Wisconsin, ernannt.

Zu der Zeit war der Klassenunterricht noch vorherrschend – aber eine Unmöglichkeit, wenn man mit sechs oder mehr Klassen (Jahrgangsklassen – Anm. des Hg.) gleichzeitig arbeiten musste.

Helen Parkhurst wählte daher eine andere Didaktik, eine andere Methode. Sie erkundigte sich bei jedem Kinde, was es während der kommenden Woche zu lernen beabsichtige. Die Antworten der Kinder wurden aufgeschrieben, und es wurden Verabredungen getroffen: Die Schüler versprachen mit diesem „Kontrakt“, am Ende der Woche mit der vereinbarten Arbeit fertig zu sein. Die Lehrerin versprach, jede notwendige Hilfe zu leisten, wenn sie nicht mit einer Gruppe beschäftigt war. Hatte die Lehrerin keine Zeit, durften die Schüler andere um Hilfe bitten. Die Schüler durften selbst wählen, wo und mit wem sie ihre Arbeit machen würden und mit welchem Lernfach sie sich beschäftigen wollten.

In dieser kleinen Dorfschule wurden die ersten Umrisse des Daltonunterrichts sichtbar.

Heute spricht man nicht mehr von einem Kontrakt, sondern von einem Pensum. Und nicht mehr die Schüler sagen, was sie während des nächsten Zeitabschnittes


machen werden, sondern der Lehrer bestimmt dies, indem er die Fähigkeiten des individuellen Schülers berücksichtigt[1].

 

Der theoretische, pädagogische und anthropologische Inhalt dieses Konzeptes wurde erst rückwirkend deutlich. Es zeigt sich, dass es bei dieser Didaktik des Daltonplanes Prinzipien, Merkmale und Folgen gibt.

 

Von Prinzipien ist die Rede, wenn es sich um das Wesentliche des Dalton­unterrichtes handelt. Ohne Prinzipien gestaltet zu haben, ist eine Schule keine Daltonschule.

 

Erstes Prinzip: Freiheit

 

Das erste und wichtigste Prinzip ist die Freiheit, zu definieren als Wahlfreiheit, die unlöslich verbunden ist mit Verantwortung.

 

Es gibt Wahlfreiheit für Schüler und Lehrer (und Schulen).

 

Die Wahlfreiheiten für Schüler

 

  1. Die Schüler wählen, mit welchem Fach sie sich während der Daltonstunden beschäftigen wollen. Das bedeutet, dass nicht der Stundenplan darüber ent­scheidet, sondern sie selber.
  2. Sie bestimmen selber, wie lange sie sich mit diesem Fach beschäftigen wollen. Parkhurst wies darauf hin, dass Schüler ungleich begabt sind, nicht nur im Vergleich zueinander, sondern auch in den unterschiedlichen Fachgebieten. Ein Schüler kann z.B. schwach in Fremdsprachen sein, aber gut in Mathematik. Das bedeutet, dass er mehr Zeit für die Fremdsprachen als für Mathematik braucht. In der herkömmlichen Klassenschule achtet man nicht darauf, der Stundenplan bestimmt die zu verwendende Zeit. Da der Daltonunterricht die Verantwortung für das Lernen den Schülern überträgt, bekommen sie auch in dieser Hinsicht die Wahlfreiheit. Die Schüler sollen ja am Ende der Pensumzeit mit der Arbeit fertig sein.
  3. Die Schüler wählen, wo sie mit ihrem Pensum arbeiten wollen. Das kann sein: am eigenen Tisch, irgendwo sonst im Klassenzimmer oder sogar irgendwo sonst im Gebäude. In den Dalton-Grundschulen gibt es, wenn möglich, Arbeitsecken und Räume, wo die Schüler ruhig arbeiten können, auch ohne Aufsicht seitens des Lehrers. Parkhurst wollte, dass die Schüler (besonders im Sekundarunterricht), den Fachlehrraum des Fachgebietes nützen können, für das sie sich entschieden haben. Dort gibt es ja alle Hilfsmittel und wenn nötig, ist der Fachlehrer für Hilfe da.
  4. Die Schüler bestimmen selbst, ob sie die Arbeit alleine oder mit anderenSchülern machen. Dazu gibt es nur eine Ausnahme: Probearbeiten müssen alleine gemacht werden, weil der Lehrer wissen will, ob der Lernstoff tatsächlich verstanden ist.
  5. Die Schüler bestimmen selbst, welche Hilfsmittel sie benutzen wollen: Nachschlagebücher aus dem Dokumentationszentrum, Computer, usw.
  6. Mache ich das Fach, mit dem ich beschäftigt bin, in einem Guss fertig oder verteile ich es über mehrere Tage? Wenn ich die Verteilung über mehrere Tage wähle, wie lange werde ich daran arbeiten?
  7. Bei dem englischen Daltonpionier Lynch kam noch die bewußte Entscheidung hinzu: Mache ich eine Pause? Wenn ja, wann und wie lange?
  8. Weil der Daltonunterricht kein eigenes, bestimmtes Material vorschreibt, kann die Lehrerschaft selbst wählen, welche Bücher (Methoden) für die Schulfächer benutzt werden. In den Niederlanden schreibt der Staat auch in dieser Hinsicht nichts vor.
  9. Die Lehrerschaft bestimmt selbst, welche Hilfsmittel sie benutzen will.
  10. Das Team bestimmt selbst, wie es diePensenaufschreiben will: ebenso ausführlich wie Parkhurst es in ihrem grundlegenden Werke „Education on the Dalton Plan“[2] beschreibt, oder in verkürzter Form, wie dies in den Niederlanden oft geschieht.
  11. Das Team wählt selbst, wie die Pensen vermerkt werden.
  12. Im Pensum (sei es auf dem Pensumbrett, im Pensumheft oder auf dem Pensumblatt) gibt es einen Platz, wo man vermerken kann, dass der Schüler mit einem bestimmten Fach fertig ist. Meistens benutzt man Tagesfarben dafür, z.B. blau meint, dass der Schüler am Dienstag mit diesem Fach fertig war. Das Team wählt selbst die Tagesfarben.
  13. Das Team bestimmt selbst, wiedifferenziert wird (nach Tempo, Niveau, Interesse, einer Mischung hieraus …).
  14. Die Lehrerschaft bestimmt selbst, wie viele Daltonstunden es pro Tag oder pro Woche gibt. – Es ist klar, dass nur eine Stunde pro Tag zu wenig ist, um den Schülern die Möglichkeit zu geben, ihre Zeit selbst einzuteilen. Dies wäre bestenfalls eine Hausarbeitsstunde und keine Daltonstunde.
  15. Die Schule trifft selbst die Wahl, ob die Klassen waagrecht (wie im herkömmlichen Unterricht) oder senkrecht (wie bei Maria Montessori und im Jenaplan) gruppiert werden. Beide Formen kommen in Daltonschulen vor.
  16. Das Team trifft mehrere Verabredungen und evaluiert diese regelmäßig.
  17. Das Team trifft zusammen mit den Schülern Verabredungen über Verhaltens- und andere Regeln in der Schule.
  18. Und das Team trifft darüber hinaus so viele Verabredungen, wie es für wünschenswert findet.
  19. Schüler müssen vereinbart haben, z.B. Geographieaufgaben zusammen zu lernen und zu machen. Sie fragen einander den Lernstoff ab und überprüfen die Richtigkeit und Qualität der Antworten. Das bedeutet, dass sie zuhören und nachdenken können müssen.
  20. Weiter sollen sie sich auf das Thema konzentrieren, sonst verschwindet die Aufmerksamkeit. Und sie müssen einander sehen können, also nicht nebeneinander, sondern einander gegenüber sitzen. Währenddessen reden sie miteinander (eine Todsünde in der Klassenschule!) – und, indem sie das machen, lernen sie implizit vieles dabei:

 

Die Wahlfreiheit ist nicht unbeschränkt. Der Schüler ist gebunden an das Pensum und an die Verabredungen, die in und mit der Klasse oder Schule gemacht worden sind. Eine wichtige Regel dabei ist: „Du sollst den anderen nicht stören!“

 

Die Wahlfreiheiten für Lehrer

 

Weil der Daltonunterricht kein festumrissenes System sein will (das wäre ja ein Widerspruch zur Wahlfreiheit!), haben die Lehrer die Freiheit, anhand der Daltonprinzipien ihre Schule selber zu gestalten. Sie können daher selbst Entscheidungen treffen. Einige davon sind:

 

Zweites Prinzip: Selbständigkeit

 

Im herkömmlichen Unterricht war der Lehrer die zentrale Figur im Lernprozess: Er bestimmte den Lehrstoff, das zur Verfügung stehende Zeitausmaß, die Hilfsmittel und vor allem, wie er den Lehrstoff erklärte (zumeist nach den Regeln Herbarts). Die Schüler waren dabei oft passiv, im günstigsten Fall rezeptiv.

 

Bei Selbsttätigkeit stellt der Lehrer die Schüler vor Probleme, ohne selbst die Lösungen anzubieten. Diese sollen von den Schülern gefunden werden, alleine oder in kleinen Gruppen. Des Lehrers Aufgabe ändert sich: Er erklärt nicht, sondern gibt zur Not kurze Hinweise oder Denkanregungen.

 

Ein Kind geht zum Lehrer und sagt: „Ich verstehe diese Rechenaufgaben nicht!“ In der herkömmlichen Schule fängt der Lehrer sofort zu erklären an. Bei Selbsttätigkeit aber sagt er: „Wie könntest du diese Aufgabe angehen? Was hast du gedacht?“ Immer wieder aktiviert er das Denken des Schülers.

 

Es ist auffällig, dass Helen Parkhurst den Aspekt der Selbsttätigkeit in ihren Auffassungen wohl sieht, aber nicht zum Prinzip erhebt – sie erwähnt ihn nur kurz. In den Niederlanden findet man diesen Aspekt jedoch so wichtig, dass man ihn als Grundprinzip betrachtet. Die Selbsttätigkeit gilt sowohl für die Schüler, wie auch für die Lehrer.

 

Schüler sollen selbst Lösungen suchen – und Lehrer auch. Der Daltonunterricht bietet den Lehrern kein fix und fertiges Modell, sie sollen selbst über die Gestaltung und den Inhalt ihrer Schule nachdenken, genauso wie die Schüler. Natürlich, wenn der Schüler nicht imstande ist, eine Lösung zu finden und Hinweise nichts helfen, dann erklärt der Lehrer mehr. Es kommt vor, dass in einer Klasse eine Gruppe von Schülern sehr viel über den Weg der Selbsttätigkeit lernt und eine andere Gruppe mehr Hilfe braucht. Die Lehrer können sich Hilfe holen, indem sie Daltonschulen besuchen und Kollegen um Rat bieten.

 

Vor einigen Jahren sind die Schulen, die Mitglied des Niederländischen Daltonvereins sind, in Bezirke aufgeteilt worden. Das Ziel dieser Organisation: Praxisverbesserung. Die Bezirksschulen arbeiten zusammen, suchen miteinander Lösungen für unterschiedliche Anforderungen ( z.B. Wie erstellen und gestalten wir die Pensen? Das gilt besonders für jene Schulen, die noch keine anerkannten Daltonschulen sind.). Sie veranstalten jedes Schuljahr einen themenorientierten Studientag. Die anerkannten Daltonschulen des jeweiligen Bezirkes helfen Schulen in ihrem Entwicklungsprozess, wenn sie darum gebeten werden.

 

Das Prinzip der Selbsttätigkeit legt nicht in erster Linie Nachdruck auf Gedächtnisleistungen, wie dies früher der Fall war, sondern auf problem­lösungsorientiertes Denken.

 

Es gibt für den Wert des Prinzips der Selbsttätigkeit auch einen gesellschaftlichen Grund: Die Gesellschaft ändert sich durch neue Erfindungen sehr rasch. Weder Eltern noch Schulen können mehr vorhersehen, in was für einer Gesellschaft die Kinder leben werden. Was die Kinder für ihr künftiges Leben jedenfalls brauchen werden, ist eine geschulte Intelligenz, um selbst die heute noch unbekannten Probleme der Zukunft lösen zu können.

 

Drittes Prinzip: Zusammenarbeit

 

Im herkömmlichen Unterricht war der beste Lehrer derjenige, der gut erklären konnte. Das war seine Aktivität und seine Pflicht. Der Schüler sollte das Gelernte herleiern können und wie am Schnürchen parat haben. Zusammenarbeit war dabei verboten, obwohl die Schule auch damals den Anspruch auf Sozialbildung erhob.

 

Es gibt Bedingungen für das Zusammenarbeiten:

 

  • Die Sprache wird in allen Facetten geübt.
  • Die Schüler lernen gut zuzuhören und über Argumente nachzudenken, d.h. das logische Denken wird geübt.
  • Der Schüler lernt die Meinung des andern zu respektieren und die eigene Meinung aufgrund besserer Argumente zu ändern. So entstehen Gespräche und nicht ein Prestigeduell.
  • mit anderen Lösungen für Probleme suchen,
  • anderen helfen, und auch:
  • andere nicht stören.
  • Kontrakt = die Arbeit für das gesamte Schuljahr.
  • Pensum (Aufgabe) = die Arbeit für einen Monat.
  • Periode = die Arbeit für eine Woche.
  • Tag oder unit = die Arbeit für einen Tag.

 

Auch für dieses Prinzip gibt es einen gesellschaftlichen Grund: Jeder Mensch soll in seinem Leben mit anderen zusammenarbeiten können, niemand kann ohne den anderen leben. Der Daltonunterricht sagt daher, dass man dies im jungen Alter lernen muss. Und die Praxis beweist, dass dies ohne Mühe von den Schülern geleistet werden kann. Eine amerikanische Untersuchung zeigt überdies, dass auch die helfenden Schüler profitieren, denn sie verstehen selbst den Lernstoff besser, wenn sie Mitschülern geholfen haben, ihn zu verstehen.

 

Zusammenarbeit bedeutet also:

 

Die Pensen

 

Das Pensum beschreibt, welche Arbeit die Schüler während einer vereinbarten Periode zu leisten haben. Der Daltonunterricht geht davon aus, dass Kinder gerne lernen, und das entspannte Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler sorgt dafür, dass diese Auffassung nicht in unerträglichen Zwang ausartet.

 

Der Umfang des Pensums ist abhängig vom Alter und von der Entwicklungs­phase des Schülers. Junge Kinder bekommen ein kleines Pensum für einige Stunden, später für einen Tag, dann für eine halbe Woche und, in der Grundschule, schließlich für eine ganze Woche. Beim Fortbildungsunterricht ist die Periode meistens länger, weil die Schüler mehr überblicken können. Die Verantwortung nimmt in demselben Maße zu.

 

Parkhurst stellte hohe Anforderungen an die Pensen

 

Zuerst sollten sie völlig ausgeschrieben sein („written, not oral“). Die Folge war, dass die Schüler erst lesen lernen mussten, bevor sie mit Pensen arbeiten konnten. Folgerichtig schreibt Helen Parkhurst:

 

„Der Dalton Plan hat für die Periode der Kleinkinder wenig zu bieten. […] Der Plan befasst sich mit dem Alter der Präpubertät und der Pubertät […].“[3]

 

Die niederländische Praxis zeigt indessen etwas anderes: Es ist sehr wohl möglich, mit Kindern im Kindergartenalter zu daltonisieren. Diese jungen Kinder können zwar nicht lesen im gebräuchlichen Sinne des Wortes, sie können aber sehr wohl Symbole „lesen“. Eine Zeichnung von einem Pinsel auf dem Pensumblatt bedeutet z.B. „Färben in der dazu bestimmten Ecke des Klassenzimmers“. Die jungen Kinder verstehen diese Symbole sehr schnell.

 

Ein richtiges Pensum, so schreibt Parkhurst, fängt mit einem „interest pocket“ an. Dieser Ausdruck ist unübersetzbar. Sie meint damit, dass am Anfang des Pensums einige Sätze stehen sollen, die die Schüler neugierig machen und dazu motivieren, mehr wissen zu wollen.

 

In den Anfangsjahren des Daltonunterrichts gab es Verwirrung um einige Benennungen des Pensums. Der englische Daltonpionier Lynch schlug darum Folgendes vor, um einen einheitlichen Sprachgebrauch zu erreichen:

 

In den Niederlanden gebraucht man heutzutage nur das Wort „taak“ (=Aufgabe, Pensum) für jede Zeitdauer, ohne dass Verwirrung dadurch entsteht. Man redet zur Not über „weektaak“ (Wochenpensum), „dagtaak“ (Tagespensum) usw.

 

Nach dem „interest pocket“ wird von Parkhurst das Thema des Faches im Pensum benannt und dann werden die Probleme, denen die Schüler begegnen können, beschrieben oder die Aufträge genannt, die auszuführen sind. In ihrem Werk „Education on the Dalton Plan“ sind alle Unterteilungen zu finden. Eine große Anforderung an den Verfasser eines Pensums sieht Parkhurst darin, dass das Pensum so klar und deutlich geschrieben sein soll, dass der Schüler nichts mehr zu fragen hat, dass er es sofort völlig versteht.

 

Die niederländischen Grundschulen schreiben im Pensum meistens nicht mehr als z.B. die Seitenangabe der Aufgaben im Rechenbuch.[4] Parkhurst lehnte eine mündliche Erklärung des Pensums ab, in den Niederlanden legt man Wert darauf, die Pensen mündlich zu erklären, denn dies bedeutet Kontakt mit den Schülern. Beim Sekundarunterricht werden die Pensen ausführlicher beschrieben, mehr dem Geiste Parkhursts entsprechend.

 

Die modernen Methoden in Lehr- Lernbüchern sind ungleich besser als früher. Oft beschreiben sie bereits auszuführende Aufträge und enthalten auch Sonderaufträge für Schüler, die schneller arbeiten können. Diese braucht man also nicht mehr im Pensum aufzunehmen, denn der Schüler begegnet diesen „von selbst“.

 

Es steckt eine Gefahr in Parkhursts Wünschen bezüglich des Aufbaus der Pensen. Wer die Pensen vor Schulanfang für das ganze Jahr schreiben will, hat eine Heidenarbeit zu leisten, und vielleicht tut er dies nur einmal. Und dann ist es um die Flexibilität geschehen. Daher weichen die niederländischen Dalton-Grundschulen in dieser Hinsicht ruhig von Parkhursts Auffassungen ab. Mit ruhigem Gewissen, denn sie selbst wollte ja ihre Auffassungen nicht zu einem System erstarren lassen.

 

Es könnte den Anschein haben, dass der Daltonunterricht sich nur um die kognitiven Aspekte der Unterrichts kümmert. Nichts ist weniger wahr. Zunächst gibt es Vorschriften seitens des Ministeriums hinsichtlich der musisch-technischen Fächer, welche jede Schule beachten soll.

 

Zweitens gibt es die Überzeugung der Lehrerschaft, dass uns das Leben mehr zu bieten hat als kognitive Anforderungen. Und der Daltonunterricht will auf das Leben in der künftigen Gesellschaft vorbereiten. In Parkhursts eigener Daltonschule in New York war ein Drittel der Zeit der Kunst und dem Sport gewidmet. Sie berief berühmte Künstler an ihre Schule.

 

Die Lehrer schreiben die Pensen. Hat der Schüler auch noch etwas zu sagen? Die Antwort lautet: Ja, sobald er mit dem Pensum anfängt.

 

Neben den Pflichtfächern, welche die Obrigkeit vorschreibt, gibt es Wahlmöglichkeiten, wenn der Schüler mit dem Pensum fertig ist. Dann bestimmt er selbst, welcher Tätigkeit er weiter seine Aufmerksamkeit zuwenden möchte, womit er sich beschäftigt. Und weiters teilt der Schüler selbst die Zeit ein, wählt die Reihenfolge.

 

Implikationen des Daltonunterrichtes

 

Parkhurst lehnt den Stundenplan („a bugbear“) zum größten Teil ab. Denn dieser Plan bestimmt, wie lange ein Schüler sich mit einem vom Stundenplan gesetzten Fach betätigen soll. Am Ende läutet die Glocke, was bedeutet, dass alle Schüler sich zu gleicher Zeit einem andern, wiederum vom Stundenplan bestimmten Fachgebiet widmen sollen. Unbeachtet bleibt dabei, ob der Schüler mit diesem Fach fertig ist oder noch nicht. Wenn der Schüler aus Interesse sich noch länger mit diesem Fache befassen möchte, oder wenn er noch nicht fertig ist, verhindert der Stundenplan die Erfüllung dieses Wunsches. Der Stundenplan verhindert Wahlfreiheiten. Deshalb soll nach Helen Parkhurst die Glocke aus der Schule verschwinden.

 

Der Daltonunterricht schafft den Stundenplan zum größten Teile ab, aber nicht völlig. Es bleiben Klassenstunden, z.B. für Musik, Körpererziehung, Erzählungen (auch in Geschichte und Geographie). Weiter kann es vorkommen, dass ein ganz neues Thema aufs Tapet gebracht wird, z.B. die Bruchzahlen. Der Lehrer kann in diesem Falle entscheiden, diese Introduktion mit der ganzen Klasse zu machen. In einer richtigen Daltonschule bleiben Klassenstunden jedoch die Ausnahme. In der Praxis ist es vom Wagemut, den Einsichten und den Kenntnissen des Lehrers abhängig, inwieweit er der Selbsttätigkeit der Schüler Raum lässt. Viele Lehrer haben während ihrer Ausbildung wohl den Frontalunterricht kennengelernt und geübt, aber nicht die Selbsttätigkeit und dann müssen sie umdenken, wobei das Gewissen eine wichtige Rolle spielt. Es ist für den Lehrer ein Lernprozess, der solange andauert, bis er erkennt, dass Selbsttätigkeit bessere Erfolge hat und Schüler besser auf ihr künftiges Leben vorbereitet. Kurz, der Stundenplan soll minimalisiert werden.

 

Selbst die Zeit einteilen

 

Für Helen Parkhurst war diese Implikation des Daltonunterrichtes ein sehr wichtiger Teil ihres Planes. Sie nannte es sogar „das vierte Prinzip“.

 

Bei der Wahlfreiheit zeigte es sich bereits, dass ein Schüler für ein bestimmtes Fach mehr Zeit braucht als für ein anderes. Aber es kann auch vorkommen, dass er während einer Woche mehr Zeit für z.B. Rechnen verwendet als während einer anderen Woche. Das empfindet er selber, während es für den Lehrer äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich ist, es im voraus zu wissen. Aus diesen Gründen soll es dem Schüler überlassen bleiben, selber seine Zeit einzuteilen. Die Probleme lösen sich in dieser Weise „von selbst“. Der Schüler soll selber planen, den Zeitbedarf schätzen und seinen Arbeitsplan erstellen. Er weiß, dass er am Ende der Pensumzeit mit seinen Aufgaben fertig sein soll und dass er dabei nicht überfordert sein wird. Er empfindet, dass er selbst für sein Lernen Verantwortung trägt und dass er nicht für den Lehrer, sondern für sich selbst lernt.

 

In einigen Daltonschulen benutzt man ein Hilfsmittel, um die Zeit, über die die Schüler noch verfügen, zu veranschaulichen. Auf einer magnetischen Wandtafel werden so viele Kreise befestigt, wie es Schulzeiten (Vor- und Nachmittage) gibt. Nach jeder Schulzeit wird ein Kreis entfernt. Ein anderes Hilfsmittel ist eine Übersicht für jeden Schüler und seine „Pensumaufgaben“ bzw. den Fächern. Wenn ein Schüler mit einem Unterteil fertig ist, wird das mittels Farben vermerkt. Der Lehrer (und der Schüler!) kann mit einem Blick sehen, wie weit der Schüler vorangekommen ist, oder ob ein Schüler in der Zeit weit zurückbleibt. Der Lehrer kann sich beim Schüler nach den Ursachen erkundigen und wenn möglich, diese beseitigen. Es kommt in der Praxis immer wieder vor, dass ein Schüler durch diese Übersicht bemerkt, dass ein Klassenkollege etwas zurückbleibt und sich dann entscheidet, diesem zu helfen.

 

Disziplin (Ordnung)

 

In der Daltonliteratur liest man Optimistisches über diese Frage. Helen Parkhurst schreibt in „Education on the Dalton Plan“: „Ich kümmere mich nicht um Disziplinprobleme, Gleichgültigkeit, betrügende und faule Knaben, weil die Bedingungen und Anlässe, welche diese und sonstige Schulübel verursachen, vom Daltonplan beseitigt werden.“[5]

 

Wodurch wird unerwünschtes Benehmen verursacht? Die Daltonianer sehen einige Anlässe dafür.

 

Der erste ist Langeweile. Wenn ein Schüler vor dem Ende der Zeit für ein bestimmtes Fach bereits fertig ist, oder den Lernstoff schon verstanden hat, während der Lehrer noch bemüht ist, diesen zu erklären, tritt Langeweile auf – und das ist der beste Nährboden für unerwünschtes Benehmen. Beim Daltonunterricht hat der Schüler immer etwas zu tun, sei es für das Pensum oder für eine Wahltätigkeit. Er braucht sich also nicht zu langweilen.

 

Ein zweiter Grund liegt in Lernstoff, der nicht den Kapazitäten des Schülers gemäß ist: entweder zu schwierig oder zu leicht. In einer guten Daltonschule wird nicht das Kind dem Lernstoff angepasst, sondern umgekehrt: Der Lernstoff muss dem Kind entsprechen, das heißt, dass jedes Kind den Lernstoff bekommt, den es bewältigen kann.

 

Neben den „normalen“ Fächern ist der Schüler mit Wahlarbeit tätig. Man kann erwarten, dass er Interesse dafür hat. Ein Schüler, der sich für das, womit er sich beschäftigt, interessiert, verursacht keine Disziplinprobleme. Und natürlich gibt es immer die Möglichkeit, dass das Kind auch den „normalen“ Lernstoff erarbeitet, weil es diesem Lernstoff gewachsen ist.

 

Den dritten Grund bildet das Verhältnis zwischen Lehrer und Kind. In der Daltonschule findet man ein entspanntes Lehrer-Schüler-Verhältnis, kein autoritäres. Ein Daltonlehrer traut seinen Schülern und respektiert sie und die Schüler wissen, dass sie selber Verantwortung tragen.

 

Helen Parkhurst schreibt weiter in „Education on the Dalton Plan“: „Alle Schwierigkeiten, welche den Lehrer quälen, sind entstanden aus ungelösten Problemen der Schüler. Wenn diese verschwinden, verschwinden auch diejenigen des Lehrers.“[6] Und das ist eine tiefe Wahrheit!

 

Es ist natürlich klar, dass es vielschichtige Ursachen für Schülerprobleme geben kann: Die Veranlagung des Schülers, seine Lebensverhältnisse, die Wohnlage, Einfluss anderer Bezugspersonen, […] Trotzdem kann auch die Schule selber, durch unzulängliche Didaktik oder (zu) autoritäres Verhalten des Lehrers Disziplinprobleme verursachen. Der Daltonunterricht hilft, diese Schwierigkeiten zu beseitigen, indem er Lösungen zu den Ursachen inakzeptablen Verhaltens bietet.

 

Aktivität

 

Wir unterscheiden hier zwischen körperlichen und geistigen Aktivitäten. In einer herkömmlichen Schule soll das Kind still sitzen und den Mund halten, es darf nicht reden. Im Grunde genommen ist das unnatürlich, denn ein gesundes Kind will sich bewegen, rennen, spielen, reden …

 

In der Daltonschule kann das Kind innerhalb des Schulgebäudes gehen, wohin es will. Überdies kann es mit andern Schülern reden, wenn es mit ihnen zusammen arbeiten will. Obwohl also körperliche Aktivität nicht unterdrückt wird, führt dies nicht zu Unruhe in der Schule.

 

Die geistige Aktivität in den Daltonschulen ist groß: Das Nachdenken über zu findende Lösungen ist eine Aktivität des Ich, so zeigte die deutsch-niederländische Denkpsychologie. Es handelt sich hier im Grunde genommen um Ausdenken und nicht um Nachdenken, was ein anderer (der Lehrer!) vorgedacht hat. Es ist ganz normal, dass Schüler nach einiger Zeit über etwas Leichteres reden, denn dieses Denken wirkt ermüdend. Trotzdem sind sich die Schüler immer der Tatsache bewusst, dass das Pensum rechtzeitig fertig sein muss.

 

Ein Vorfall

 

Ein Besucher aus der Slowakei besucht eine Dalton-Grundschule. Nach einigen Stunden sagt der Schulleiter:

 

„Haben Sie bemerkt, dass zweihundert Schüler die Schule verlassen haben?“ Der Besucher wundert sich, er ist gewöhnt, dass die Schüler lärmend die Schule verlassen. Es entsteht ein Gespräch darüber. Die Schlussfolgerung des slowakischen Besuchers ist: „Diese Schüler dürfen während der Schulzeit körperlich und geistig aktiv sein, sie haben also kein Bedürfnis, mehr Lärm zu machen, um Aktivität nach­zuholen.“

 

Flexibilität

 

In vielen Büchern über Reformpädagogik zählt man den Daltonunterricht zu den modernen Unterrichtssystemen. Es gibt tatsächlich Unterrichtskonzepte, die ein System sein wollen, denn so ein System gibt Halt: Wenn man genau nach den Vorschriften oder Auffassungen dieses Systems verfährt, so macht man keine Fehler.

 

Der Daltonunterricht will bestimmt kein System sein, und er hat dafür seine Gründe.

 

Die Wissenschaft ändert sich in einem noch nie dagewesenen Tempo – man denke nur an die Physik, Chemie, Biologie, Medizinwissenschaften, Fernsehmöglichkeiten, Kommunikationsmittel via Computer usw. Die Folge ist, dass auch die Welt, die Gesellschaft, sich ändert. Und eine feste Regel ist, dass, wenn die Gesellschaft sich ändert, auch ihre Anforderungen an die Bürger sich ändern. Und dann soll die Schule mitändern, denn diese soll ja auf das Leben in der Gesellschaft vorbereiten. Ein System hat die Neigung zur Erstarrung, und dies bedeutet, dass ein Unterrichtssystem nach Verlauf von Zeit veraltet und nicht mehr zeitgemäß sein könnte.

 

Der Daltonunterricht will die Gefahr der Erstarrung vermeiden, er will flexibel sein. In den Niederlanden hat sich diese Flexibilität schon längst bewährt: In den Zwanziger- und Dreißigerjahren war der Daltonunterricht eng verbunden mit der Denkpsychologie, nachher mit Blooms’s Mastery Learning, jetzt wird der Computer benutzt. Differenzierung ist kein Problem und die letzte Entwicklung (die sog. Lernstofflinien) passen wunderbar zum Daltonunterricht. Kurz: Daltonunterricht ist imstande, sich (zeitweilig) mit neueren Auffassungen zu verbinden, ohne sich völlig mit diesen zu identifizieren.

 

Der Daltonunterricht schreibt daher wenig vor. Was kennzeichnend für ihn ist, soll man in der Schule finden. Lernmaterialien werden nicht vorgeschrieben, denn sie werden immer moderner und besser und die Auswahl wird dem Team über­lassen.

 

Die Folge ist, dass in den Niederlanden keine zwei Schulen identisch sind, jede Daltonschule hat ihre eigene Wahl getroffen und die Schule danach gestaltet. Es wäre ja komisch, wenn eine Schule in einem alten Großstadtviertel einer Dorfschule gleich wäre, denn die Lebens- und Erfahrungswelt der Schüler ist grundverschieden.

 

Differenzierung

 

Ein Merkmal des Klassenunterrichts ist, dass alle Schüler in derselben Zeit denselben Lernstoff lernen müssen. Der Daltonunterricht differenziert

 

Ändert man eine von diesen drei variablen Voraussetzungen, so spricht man von Differenzierung oder Individualisierung. Behält man dabei den Lernstoff im Auge, so ist die Rede von Differenzierung, beachtet man den Schüler, so redet man von Individualisierung. Aber beide Formen kommen zum selben Resultat, in der Praxis gibt es zwischen ihnen keinen Unterschied.

 

Es gibt mehrere Arten von Differenzierung.

 

Lynch wählte in England die Tempodifferenzierung. Bei ihm bedeutete das, dass alle Schüler denselben Lernstoff bekamen, aber die Geschwindigkeit, mit der sie sich den Lernstoff aneigneten, war unterschiedlich. Er änderte also die Variable „dieselbe Zeit“. Je höher die Klasse, desto größer wurden die Tempounterschiede zwischen den Schülern. Gute, intelligente Schüler kamen bei ihm viel schneller vorwärts als die trägeren, weniger intelligenten. Der Vorteil ist, so sagte Lynch, dass alle Schüler den verarbeiteten Lernstoff gut verstanden hätten.

 

Bonamie in Belgien kommentiert dazu, dass es immer schwieriger wird, die Schüler zusammenarbeiten zu lassen, wenn man Tempodifferenzierung anwendet.

 

Es ist auch möglich, die Variable „denselben Lernstoff“ zu ändern, was in der Praxis bedeutet, dass man die Schwierigkeit des Lernstoffes den Fähigkeiten des Schülers anpasst. Gute, intelligente Schüler bekommen mehr oder schwierigeren Lernstoff, die weniger intelligenten bekommen nur den Basislernstoff, den alle Schüler sich aneignen sollen. Diese Art von Differenzierung wird Niveau­differenzierung genannt.

 

Die Engländerin Rosa Basset unterschied drei Niveaustufen:

 

  1. Unteres oder niedrigeres Niveau: Das bedeutet Lernstoff, den sich alle Schüler aneignen können (und müssen).
    1. Mittleres Niveau: Dieses ermöglicht, dass die Schüler mehr lesen und tiefer denken.
    2. Höheres Niveau: Dieses ermutigt begabte Schüler, möglichst viel zu lernen.
      1. ausgedehnterer Lernstoff:
      2. schwierigerer Lernstoff:
      3. Wahllernstoff:
      4. In jedem Fach ist der Lernstoff für die Schüler wesentlich unterschiedlich, mit Abstufungen nach Schwierigkeit. Wissenschaftlich gesehen ist es schwer, die Unterschiede der Schwierigkeit festzustellen und den Lernstoff auf Schwierigkeitsgrade abzustimmen.
      5. Basislernstoff für alle und danach Vertiefung oder Ausdehnung, nachdem sich der Schüler den Basislernstoff angeeignet hat und auch die dazugehörenden Übungen oder Aufgaben erledigt sind. Dies ist bei Mastery Learning der Fall.
      6. Wiederum Basislernstoff für alle, und die Niveauunterschiede werden bei der Verarbeitung des Lernstoffes, also in den zu erledigenden Aufgaben und Übungen, getroffen.

 

Es gibt dabei mehrere Möglichkeiten:

 

In Geschichte lernen begabtere Schüler mehr vom selben Thema, sie lesen z.B. mehr über den Kulturkampf, in Geographie mehr über bestimmte Länder.

 

In allen Fächern bekommen intelligente Schüler schwierigere Aufgaben bzw. schwierigeren Lernstoff.

 

Ein Schüler hat das Pensum beendet und der Lehrer ist zufrieden mit seiner Leistung. Daher sagt er: „Jetzt darfst du selber wählen, was du machen willst“. Der Schüler kann sich dann für a) oder b) entscheiden, oder er widmet sich seinem favorisierten Fach oder Hobby.

 

Es gibt in den Niederlanden Daltonschulen, die dazu eine Reihe von Möglichkeiten anbieten: Schach oder Dame spielen, mehrere Arten von Werken usw. Oft wird die Auswahl begrenzt, dann dürfen die Schüler eine bestimmte Aktivität erst wieder wählen, wenn sie alle andere Möglichkeiten erschöpft haben. Diese Schulen möchten Einseitigkeit verhüten und zu gleicher Zeit eine Grundlage für ein späteres Hobby bieten.

 

Andere, aber verwandte Niveaudifferenzierungen sind:

 

Die dritte Art der Differenzierung nennen wir Interessendifferenzierung. Bei dieser Art berücksichtigt der Lehrer spezielle Fähigkeiten oder Vorlieben des Schülers, indem er im Pensum dafür Raum bietet. Meistens soll der Schüler zuerst den „normalen“ Lernstoff lernen und dann bekommt er die Möglichkeit, sich mit dem Wahlgebiet zu betätigen.

 

Dabei gibt es jedoch die Gefahr, dass nur begabtere Schüler, die schneller lernen können und daher eher mit dem Pensum fertig sind, sich mit Wahl­aktivitäten betätigen können und trägere, weniger intelligente Schüler nicht, weil sie alle Zeit brauchen, um mit dem „normalen“ Pensum fertig zu werden. Es gibt daher Schulen, die z.B. einmal pro zwei Wochen einen Tag „pensumfrei“ machen, damit alle Schüler sich einer Wahlaktivität widmen können.

 

Es ist weiters möglich, dass eine Schule eine Kombination aus den vorigen drei Arten von Differenzierung wählt.

 

Die Differenzierung wurde absichtlich ausführlicher beschrieben, weil jede Daltonschule differenzieren soll – das gehört zu den Wesensmerkmalen dieser Unterrichtserneuerung. Und es ist eine immanente Eigenschaft des Dalton­unterrichts, dass er auch in dieser Hinsicht nicht vorschreibt, in welcher Weise differenziert werden soll – das gehört ja zur Wahlfreiheit, und auch hierin zeigt sich die Flexibilität.

 

Zweckmäßigkeit

 

Der Daltonunterricht strebt Zweckmäßigkeit in vielerlei Hinsicht an.

 

Die erste Art der Zweckmäßigkeit besteht darin, dass der Schüler praktische Arbeitsmethoden kennen und dadurch Probleme lösen lernt.

 

Hat eine Schule kombinierte Klassen, d.h. mehrere Jahresgruppen sitzen beieinander, so bietet der Daltonunterricht dafür eine zweckmäßige Organisation: Die Schüler verlieren keine Zeit, weil der Lehrer zuerst eine Gruppe unterrichten will und daher die andere Gruppe warten soll. Diese andere Gruppe kann sofort mit dem Pensum anfangen. Sie haben ja immer etwas zu tun, sei es aus den Pflichtfächern, sei es mit einer gewählten anderen Aktivität.

 

Der Daltonunterricht ist dadurch effektiv, dass zu jeder Zeit Hilfe geleistet werden kann, vom Lehrer oder von einem Mitschüler. Auch hierdurch verliert der Schüler keine Zeit.

 

Wenn ein Kind einige Tage krank gewesen ist, hat es dadurch noch keinen unüberwindlichen Rückstand bekommen, denn der Lehrer kann das Pensum verkleinern (anpassen), indem er z.B. weniger Aufgaben für Rechnen machen läßt. Auch dann ist die Hilfe anderer Schüler wichtig.

 

Die Effizienz nimmt zu, wenn der Lehrer nach einigen Wochen ein Kontrollpensum gibt und aus den Ergebnissen schließen kann, ob der Schüler den Lernstoff wirklich verstanden hat oder noch Hilfe oder geeignete Übungen braucht. Dazu ist eine Analyse der gemachten Fehler notwendig. Der Lehrer sieht an den Fehlern, wo der Schüler entgleist ist und welche Hilfe er braucht.

 

Der Schüler entdeckt, dass nachlässige Arbeit Zeit kostet, denn der Lehrer nimmt das nicht hin und er will diese Arbeit nicht vermerken. Nachlässigkeit ist nicht zweckmäßig.

 

Die Selbständigkeit des Schülers nimmt schon in der Grundschule zu und das ist wichtig, wenn er zum Fortbildungsunterricht geht. Hier muss er selbständiger arbeiten und seine Arbeit planen. Das hat er bereits in der Dalton-Grundschule gelernt.

 

Diese Selbständigkeit ist wichtig für die Gesellschaft, denn eine Demokratie braucht selbständige, kritisch denkende Bürger, die gelernt haben, Verantwortung zu tragen.

 

Niederländische Abweichungen von Parkhursts Auffassungen

 

Helen Parkhurst experimentierte ihr ganzes Leben hindurch, um den Dalton­unterricht besser zu gestalten, oder – wegen der Flexibilität – zusätzliche bzw. neue Anwendungsmöglichkeiten zu finden oder zu benutzen.

 

In den Niederlanden sieht man in den Daltonschulen mehrere Abweichungen von dem, was Helen Parkhurst schrieb. So werden die Pensen in den Grundschulen weniger ausführlich geschrieben, als sie es wollte. Die größte Abweichung betrifft jedoch das Daltonisieren mit Kindern von 4 bis 8 Jahren.

 

Helen Parkhurst sah keine Möglichkeit, den Daltonunterricht auch für diese Altersgruppe zugänglich zu machen wegen ihrer Anforderung, dass die Pensen unabänderlich „written, not oral“ sein sollten.

 

Im Jahre 1990 besuchte ihre engste Mitarbeiterin, die hochbejahrte Mrs. Dorothy Rawls Luke, einige niederländische Daltonschulen, und ihre Aufmerk­samkeit betraf besonders diesen neuen Aspekt des Daltonisierens. Sie war begeistert von dem, was sie beobachten konnte und erklärte, dass Parkhurst sich sehr darüber gefreut haben würde.

 

All dies ruft die Frage hervor: Welches sind die Grenzen des Dalton­unterrichtes, was gehört zum Wesentlichen dieser Form der Unterrichts­erneuerung? Die Antwort soll lauten: Jede Daltonschule arbeitet mit Pensen als Hilfsmittel und gestaltet auf eigene Weise die Prinzipien und die Differenzierung.

 

Wenn eine Schule in den Niederlanden eine anerkannte Daltonschule werden will, so durchläuft sie eine Prozedur. Dazu ist „het Stappenplan“ (der Schritteplan)[7] entworfen worden. Am Ende dieser Entwicklung besucht ein Ausschuss des Niederländischen Daltonvereins die Schule und anhand des „kijkwijzer“ (Kriterien) wird festgestellt, ob es sich wahrlich um eine richtige Daltonschule handelt. Obengenannte Merkmale werden besonders in Augenschein genommen: Welche Wahlmöglichkeiten haben die Schulen in dieser Hinsicht getroffen und wie haben sie diese gestaltet? Eine feste Anforderung ist das Daltonisieren mit den jungen Kindern, das gehört untrennbar zur modernen Daltonschule.

 

Es versteht sich, dass Parkhurst sich über diese Neuentwicklung gefreut haben würde, sie wollte ja kein festumrissenes System entwerfen, sondern flexible Neugestaltungen ermöglichen.

 

Anthropologischer Hintergrund

 

Obwohl der Daltonunterricht als eine praktische Lösung für ein konkretes praktisches Problem entstand, ergibt sich aus der Analyse, dass er mehr als ein erfolgreicher Kunstgriff für eine bestimmte Situation ist. Der Erfolg, den Parkhurst in ihrer Einlehrerschule und nachher in andern Schulen erreichte, wurde nicht ausschließlich verursacht durch die Tatsache, dass sie eine ausgezeichnete Lehrerin war. Diese Erfolge erreichen heutige Daltonschulen unter ganz unterschiedlichen Ausgangssituationen gleichfalls. Es muss daher mehr dahinter stecken.

 

Aus der Analyse ergibt sich, dass den Prinzipien anthropologische Über­zeugungen, wenn nicht Grundmerkmalen des Menschen, entsprechen.

 

Der Daltonunterricht sieht den Menschen als ein freies Wesen, das auswählen und zu gleicher Zeit die Verantwortung für die getroffene Wahl übernehmen kann. Wir sind frei, wenn und insofern wir wählen dürfen und können. In der Geschichte hat sich keine einzige Diktatur behaupten können, denn alle sind im Laufe der Zeit verschwunden. Sie stehen ja mit dem Wesen des Menschen in Konflikt.

 

Der Daltonunterricht sieht den Menschen als ein kreatives Wesen, auch in seinem Denken.

 

Und schließlich sieht der Daltonunterricht den Menschen als ein Individuum-in-Gemeinschaft. Diese beiden Pole sollen im Daltonunterricht im selben Aus­maß zur Geltung kommen. Weder die individuelle noch die soziale Seite darf vorherrschend sein, der Daltonunterricht strebt ein Gleichgewicht zwischen beiden Dimensionen an.

 

Diese anthropologische Auffassung hat zur Folge, dass die Prinzipien zu gleicher Zeit Erziehungsziele sind. Sie sind damit viel mehr als organisatorische oder didaktische Hilfsmittel und somit ist der Daltonunterricht auch kein didaktischer Trick, der weiter nichts bedeutet, sondern eine vollwertige, eigenständige Unterrichts(re)form. Oder, wie Mrs. Luke sagt: „Der Dalton­unterricht ist eine sehr gute Vorbereitung auf das Leben in einer demokratischen Gesellschaft.

 

Es ist erfreulich, dass niederländische Schulen dies immer mehr erkennen und das wiederum hatte in den letzten Jahren ein starkes Wachstum der Zahl von Schulen, die Mitglied des Niederländischen Daltonvereins sind, zur Folge. Im Jahre 1989 waren nur 23 Schulen Mitglied des Niederländischen Daltonvereins, jetzt sind es 140, und in Kürze folgen noch etliche mehr.

 

Der Daltonunterricht kommt heute nicht nur in den Niederlanden vor. Es gibt eine Daltonschule in Moskau, in Minsk und St. Petersburg sind Schulen unterwegs. In Tschechien gibt es nun einen Daltonverein. Im Jerichower Land (unweit Magdeburg) daltonisieren bereits sechs Schulen. Sie alle haben Kontakte mit niederländischen Schulen.

 

Weiters gibt es in Australien (Sydney) noch eine Daltonschule und in Japan drei.

 

Die älteste Daltonschule, von Helen Parkhurst in New York gegründet, ist noch immer eine renommierte Daltonschule.

 

Literatur

 

Helen Parkhurst, Education on the Dalton Plan, New York 1922

 

Susanne Popp, Der Daltonunterricht in Theorie und Praxis. Ein aktuelles reformpädagogisches Modell zur Förderung selbständigen Lernens in der Sekundarstufe, Bad Heilbrunn, 1995, Klinkhardt

 

Zum Autor

 

Drs. C. J. Janssen ist Dozent für Pädagogik a. D. und Sekretär der Daltonplanvereinigung in den Niederlanden. Er ist in der Ausbildung und Schulentwicklung tätig und Herausgeber und Autor von Daltonplanliteratur. Drs. C. J. Janssen gilt in Europa als einer der führenden Daltonplanexperten.

 


 

[1]     Achtung: Für den Vertrag zwischen Lehrer und Schüler wird der Begriff „contract“ schon noch gebraucht. Kontrakt kann aber nach der Terminologie von Lynch auch Pensum bedeuten. (Anm. des Hg.)

 

[2]     Parkhurst, Helen, Education on the Dalton Plan, New York 1922

 

[3]     Parkhurst, Helen, Education on the Dalton Plan …, S. 45

 

[4]     Damit wird der Idee Helen Parkhursts – einer Individualisierung durch individuell gestaltete Lernaufgaben – wahrscheinlich nur in einem sehr eingeschränktem Maß entsprochen. (Anm. des Hg.)

 

[5]     Parkhurst, H., Education on the Daltonplan

 

[6]     Parkhurst, H., Education on the Daltonplan

 

[7]     „Schritteplan“ = Entwicklungsplan in Stufen (Anm. des Hg.)

 

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