Jedes reformpädagogische Modell bietet einen speziellen Schwerpunkt. Die Montessori-Pädagogik wird von ihrer Schöpferin selbst als eine Methode bezeichnet. Wir erkennen in der Montessori-Pädagogik auch ein in sich geschlossenes didaktisches System. Nichts davon trifft für das reformpädagogische Modell des Jenaplans zu. Der Jenaplan ist vielmehr ein Modell zur Schulentwicklung, ein Modell für eine Schule für alle, ein Modell für die individuelle Gestaltung der Schule nach den Kriterien und pädagogischen Überlegungen des Jenaplans.
Harald Eichelberger
Die Ausgangsform zur Neugestaltung der Schule – Der Jenaplan
Jedes reformpädagogische Modell bietet einen speziellen Schwerpunkt. Die Montessori-Pädagogik wird von ihrer Schöpferin selbst als eine Methode bezeichnet. Wir erkennen in der Montessori-Pädagogik auch ein in sich geschlossenes didaktisches System. Nichts davon trifft für das reformpädagogische Modell des Jenaplans zu. Der Jenaplan ist vielmehr ein Modell zur Schulentwicklung, ein Modell für eine Schule für alle, ein Modell für die individuelle Gestaltung der Schule nach den Kriterien und pädagogischen Überlegungen des Jenaplans.
Zielsetzung des Jenaplans
Jede pädagogische Theorie will das pädagogische Handeln der jeweiligen Gegenwart mitbestimmen und zugleich Anweisungen für die Zukunft geben.
Peter Petersen geht es mit seinem Schulkonzept nach dem Jenaplan um die Erziehung des ganzen Menschen und nicht um die Ausbildung von Teilfunktionen. Daher stellt sich Peter Petersen vor und mit dem Beginn seines Schulversuches die Grundfrage:
„Wie muss diejenige Erziehungsgemeinschaft gestaltet werden, in welcher sich ein Menschenkind die beste Bildung erwerben kann, d.h. eine Bildung, die seinem, in ihm angelegten und treibenden Bildungsdrange angemessen ist, die ihm innerhalb dieser Gemeinschaft vermittelt wird und die es reicher, wertvoller zur größeren Gemeinschaft zurückführt und dieser als tätiges Glied wiederum übergibt? Oder kürzer, wie soll die Erziehungsgemeinschaft beschaffen sein, in der und durch die ein Mensch seine Individualität zur Persönlichkeit vollenden kann.“[1]
Die Antwort ist der Grundriss einer Schule, der die Verwirklichung der „Idee der Erziehung“ sowie den Aufbau von Erziehungsgemeinschaften ermöglicht. Dies hat zur Folge:
Aufgabe des überlieferten Jahrgangsklassensystems zugunsten des „Stammgruppensystems“; die Stammgruppe umfasst in der Regel drei Altersjahrgänge (mit Begriffen von Petersen: Lehrlinge, Gesellen und Meisten).
Aufgabe des überlieferten Stundenplans („Fetzenstundenplan“) zugunsten des „Wochenarbeitsplanes“; er richtet sich nach den „Urformen der Bildung“ (Gespräch, Spiel, Arbeit und Feier).
Einbettung des Unterrichts in das „Schul- und Unterrichtsleben“; im Mittelpunkt des Schullebens steht die Bewältigung von „Lebenssituationen“ unter pädagogischem Aspekt.
Stellung des Lehrers als eines „Führers“ von Kindern und Jugendlichen; der Lehrer als Führer ist konstitutiv für seine Gruppe. „Im Gegensatz zur überlieferten Schule muss er hier Führer sein oder alles bricht zusammen.“[2] „Führer sein“ heißt: Autorität als zwischenmenschliches Verhältnis auf der Grundlage des Vertrauens aufbauen und besitzen – und nicht: Herrschaft und Macht ausüben.
Diese vier Prinzipien sichern den Vorrang der Erziehungsidee vor dem Unterricht im Sinne des „Einlernens“ und der Wissensvermittlung und -aufnahme. Sie machen zugleich deutlich, dass in dieser Arbeits- und Lebensgemeinschaftsschule, wie Peter Petersen seine Schule auf bezeichnet, das Prinzip der „Ordnung“ dominiert. Peter Petersen betont die „Führung des Unterrichts“ und die „Führung im Unterricht“ und weist mit Nachdruck auf die Bedeutung und die Notwendigkeit der „Vorordnungen des Unterrichts“ hin.[3] Das alles zeigt, dass Peter Petersen und seine Schule nicht jener Richtung der Reformpädagogik zuzurechnen ist, die vom „Wachsenlassen“ und von der unumschränkten Selbststeuerung des Kindes ausgeht.[4]
Trotz dieser Abgrenzung hat der Jenaplan seine Vorgeschichte in der deutschen und internationalen Reformpädagogik. Symptomatisch für alle reformpädagogischen Richtungen und für einzelne Vertreter sind die folgenden drei Prinzipien:
- Orientierung am Kind;
Das Prinzip der Selbsttätigkeit, Kreativität und Produktivität und
Der „pädagogische Bezug“ im Sinne einer persönlichen Zuwendung des Erwachsenen (Lehrers, Erziehers) zum Schüler.
Die vier Prinzipien des Jenaplans
Die Jenaplan-Schule beruht auf den Prinzipien:
- Gemeinsame Erziehung aller Kinder des Volkes bis zum 10. Schuljahr.
- Gemeinschaftserziehung.
- Schul- und Unterrichtsleben.
- Schulgemeinde.
Gemeinsame Erziehung
Peter Petersen hat seine Schule als zehnjährige „freie, allgemeine Volksschule“ geplant.
„Allgemeine Schule ist sie insofern, als sie Kinder beiden Geschlechts, jeden Standes und Bekenntnisses, jeder Begabung vereinigt, und das solange als möglich, am liebsten zehn Schuljahre.“[5]
Gemeinschaftserziehung
Die „Stammgruppen“ und die „Tischgruppen“ innerhalb der Stammgruppen lassen
„echte Gemeinschaften frei entstehen“, und dadurch reichen wir in der Schule … heran an die wahre Erziehung, wie sie zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Natur als reines Geistwirken absichtslos geschieht.“[6]
Erziehung geschieht hier „funktional“, sie ist in diesem Sinne „Tathandlung“ (Pestalozzi) am anderen Menschen; sie vollzieht sich nicht im Reden über wünschenswertes Tun oder im „Maulbrauchen“ (Pestalozzi). Gemeinschaftliche Beziehungen zeichnen aber nicht nur das Zusammenleben und –arbeiten der Schüler untereinander aus, sondern auch das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern und dieser zu den Eltern.
„Während die vergangene Zeit ihre Aufgabe darin sah, die Jugend zu tüchtigen Einzelmenschen zu erziehen, hat sich die Schule der neuen Erziehung die Bildung des Gemeinschaftswillens zum Ziel gesetzt.“[7]
„Die Idee der Erziehungsgemeinschaft wird oberste, alles Geschehen innerhalb der Schulgemeinde letzthin normierende Idee.“[8]
Die Begründung dieser Aussage beruht auf Peter Petersens Auffassung über den Menschen, nämlich dass der Mensch des anderen bedarf, um Mensch zu werden. Der Mensch ist von seiner anthropologischen Bestimmung her Mit-Mensch; er braucht den anderen, um ein Selbst werden zu können. In diesem Sinne schreibt Peter Petersen bereits 1924:
„Wir werden erst am anderen unser selbst inne, leben nicht mit ihm, sondern leben an ihm erst auf … Wir müssen es voll und ganz begreifen, dass fremdes Seelenleben vom Ursprung her unsere Seele nährt, dass wir auf Gemeinsamkeiten und aus Gemeinsamkeiten leben, und dass wir erst schöpferisch werden in dem Augenblick, wo das fremde Seelenleben auf uns einwirkt. Und da dies vom ersten Atemzuge an geschieht, so steht demnach jeder Mensch vom Ursprung her auf Gemeinschaft.“[9]
Innerhalb der Gemeinschaft geschieht und wirkt Erziehung als „kosmische Funktion“; sie zielt auf Vergeistigung und Humanisierung des Menschen.[10] Diese Aussage zeigt, dass die Gemeinschaft auf einer humanen Ethik beruht, und dass in ihr eine humane Ethik entsteht und gelebt wird. Andernfalls existiert für Peter Petersen eben gar keine Gemeinschaft.
Schul- und Unterrichtsleben
Peter Petersen hat die Unterrichtsräume für die Stammgruppen von Schülern zur Schulwohnstube umgestalten lassen. Er entwickelte also neben dem Familienleben ein Schul- und Unterrichtsleben und ordnete den Unterricht darin ein.
„Eine Folge des recht vorgeordneten Schullebens ist es, dass es inmitten dieses Wohnstubenlebens zu echten Tätigkeitsformen kommt. Man sieht die Kinder in ihren besonderen Aufgaben tätig vertieft, so dass sie auch nicht von den sich bewegenden und fragenden Mitschülern gestört werden. Entscheidender aber wird, dass es so wirklich zu erziehlichen Einflüssen kommt, dass wir in den Schulen, die doch Kunstformen sind und Stätten, in die die Jugend gezwungen wird infolge des staatlichen Schulzwanges, dennoch Kräfte und Formen der wahren Erziehungswirklichkeit erhalten und in Dienst nehmen können.“[11]
Das Prinzip, dass sich innerhalb der Tätigkeitsformen in der Schulwohnstube Erziehung ereignet, ist originär nicht von Peter Petersen formuliert worden. Als erster hat Friedrich Fröbel dieses Prinzip formuliert. Er forderte die innige Verbindung, die „Einigung“ der Schule mit dem Leben. Die Schule soll dem Leben dienen, und dieses geschieht vornehmlich durch „Einigung des Familien- und Unterrichtslebens“. Familie und Unterricht und Schule sollen eine Einheit bilden.[12]
Die Menschenbildung bedarf also primär einer Schule, die – wie Peter Petersen aufbauend auf die Gedankengänge Friedrich Fröbels sagt – „echte Familienschule“ ist.[13]
Schulgemeinde
Peter Petersen will eine Schulgemeinde bilden, eine Gemeinschaft bestehend aus Erziehern, Eltern und Schülern. Diese drei Personengruppen wirken an der Erziehung des Kindes zusammen, und „der Schulunterricht soll sich immer als das Zweite“ (in die Schulgemeinde) einordnen.[14] Die Schulgemeinde soll mitten im „Volksleben ihres Standortes“ stehen und ein Schulgemeindeleben entwickeln.[15] Auch dieses Prinzip zeigt, dass die Erziehungsidee den Unterricht umgreift, dass die Eltern in die Verantwortung für die Schule einbezogen werden, und dass die Schule in der Vorstellung Peter Petersens in erster Linie Gemeindeschule, d. h. Gemeinschaftsschule und nicht Staatsschule ist. Gemeindeschule meint letztlich eine Schule, die einer ganzen Gemeinde, nämlich der Allgemeinheit gehört, an der alle Bürger teilhaben und für die alle verantwortlich sind.
Die Eigenständigkeit der Konzeption der Jenaplan-Schule
In der Reformpädagogik sind zwei kongeniale Richtungen zu differenzieren: die „Pädagogik vom Kinde aus“ und die so genannte „Arbeitsschule“. Nach Theo Dietrich liegen dem Jenaplan als einziger reformpädagogischer Richtung beide Prinzipien zugrunde. Er gibt dem Kind Freiheit dort, wo es aus eigenen Kräften heraus seinen Weg findet, und er führt das Kind aus pädagogischer Verantwortung dort heraus, wo die Kräfte des Kindes versagen, oder das Kind verkehrte Wege einschlägt oder abirrt.[16]
Die Auffassung Peter Petersens beruht, wie er selbst sagt auf einem realistischen Menschenbild (nicht auf einem Menschenbild von „guten“ oder „schlechten“ Menschen. Nach Peter Petersen bedeutet dies, der Mensch besitzt „existentielles Sein“; er ist herausgetreten aus der Natur und ist dadurch der „erste Freigelassene der Schöpfung“. Mit dieser unfestgelegten Existenzweise muss der Mensch von der Geburt bis zum Tode Situationen bewältigen, also Stellung nehmen – so oder so.
„ … einzig und allein bei tätiger Bewährung in den vielschichtigen und natürlichen zwischenmenschlichen Beziehungen reift ein Mensch zu einem sittlichen Wesen, reift seine sittliche Kraft.“[17]
Die Jenaplan-Schulen nach Peter Petersen
Entstehung
Peter Petersen wurde in den frühen zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts in Jena beauftragt, die universitäre Volksschullehrerbildung aufzubauen und das Verhältnis von pädagogischer Theorie und Praxis auf eine neue Grundlage zu stellen. Peter Petersen leitete zu dieser Zeit die Lichtwark-Schule in Hamburg-Winterhude. Diese Schule war auf der Grundlage der Schulreformbewegung gegründet worden, um junge Menschen auf die selbst bestimmte und verantwortliche Partizipation an der Demokratisierung des gesellschaftlichen Lebens vorzubereiten, wohl auch, um den immer stärker werdenden faschistischen Strömungen den geistigen Boden zu entziehen.
Es war dieser Schule wichtig, das „volle Leben“ in die Schule hinein zu nehmen, Lernräume außerhalb der Schule zu finden, die Fächertrennungen zu überwinden und einen Arbeitsunterricht zu kultivieren, der es jungen Menschen ermöglicht, selbständig und interessengeleitet zu lernen. Ganz selbstverständlich war es ihr, an der Überwindung der Klassen- und Konfessionsgrenzen zu arbeiten und eine „Schulgemeinde“ zu sein, in der Eltern, Lehrer und Schüler gemeinsam versuchen konnten, die angestrebte neue demokratische Gesellschaft schulisch zu antizipieren.
Peter Petersen nannte sein Institut „Erziehungswissenschaftliche Anstalt“, eine „Übungsschule“ war angeschlossen; dieser Terminus von Peter Petersen wurde auch an unseren Pädagogischen Akademien später verwendet.
Bewegung
Der Jenaplan reizt zur steten Schulreform von innen, weil die pädagogisch-anthropologischen Grundmotive Peter Petersens besondere schulpraktische Möglichkeiten eröffnen. In den Grundbegriffen wird diese Behauptung näher erläutert.
1924 wandelt Peter Petersen die Universitätsschule in Jena in eine „Lebensstätte des Kindes“ um. Zunächst wird eine sechsjährige Grundschule, 1925 eine allgemeine Volksschule eingerichtet. 1937 wird ein Fröbel-Kindergarten angeschlossen. Der Jenaplan wird als Ausgangsformbei der Gestaltung vieler Schulen wirksam, d. h. nicht als fertiges pädagogisches Konzept, nach dem eine Schule funktionieren soll, sondern gleichsam als „Plattform“, von der „ausgegangen“ werden kann.
Nach dem 2. Weltkrieg arbeiten nur wenige Schulen in Deutschland nach dem Jenaplan Peter Petersens. In den sechziger Jahren wird in den Niederlanden eine Jenaplan-Bewegung angeregt, die zum jetzigen Zeitpunkt ungefähr 200 Grundschulen umfasst. Von dort inspiriert, entwickelt sich seit 1974 in Köln und Umgebung eine innere Schulreform nach den Prinzipien Peter Petersens. Ungefähr 20 Schulen berufen sich in und um Köln auf den Jenaplan.
Auch in den so genannten neuen Bundesländern wird der Jenaplan wieder entdeckt.[18] In Österreich ist der Jenaplan noch nie verwirklicht worden und beginnt erst, über die Lehrerbildung bekannt zu werden.
Grundbegriffe
Hier kann das pädagogische Begriffssystem nur andeutungsweise ausgeführt werden. Gerade die Schriften Peter Petersens zwingen zu einer intensiven Lektüre, die Grundbegriffe sollen dazu verleiten.
Der Jenaplan
„Der Begründer der Jenaplan-Pädagogik, Peter Petersen, ist im Jahr 1923, nach Jena berufen worden. 1924 begann er, die bestehende Universitätsübungsschule nach seinen Erkenntnissen und schulpädagogischen Auffassungen umzuwandeln. … Nach einer äußerst dynamischen Entwicklung des Jenaer Schulkonzeptes, einschließlich vielfältiger Formen parallel laufender Schulentwicklungsforschung an der Universitätsübungsschule, stellte Petersen sein Konzept – das schon weitgehend bekannt geworden war – 1927 auf dem Weltkongreß des New Education Fellowship (des Weltbundes zur Erneuerung der Erziehung) in Locarno der pädagogischen Weltöffentlichkeit vor.[19] Auf diesem Weltkongreß wurde dann in Locarno der Begriff „Jenaplan“ gefunden (nach Einordnung wie „Winetkaplan“, „Daltonplan“[20]). Wie andere Reformkonzepte reüssierte die Jenaplan-Pädagogik in einer weltweiten Rezeption. „Der kleine Jenaplan“ wurde in zahlreichen Ländern rezipiert und ist nach der Auflagestärke bis heute der pädagogische Bestseller geblieben.“[21]
Der Jenaplan ist keine Unterrichtsmethode! Er ist vielmehr ein pädagogisches Konzept für „Eine freie allgemeine Volksschule nach den Grundsätzen Neuer Erziehung.“[22] Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass Peter Petersen den Jenaplan eine Ausgangsform nennt.
„Ausgangsform“
Das Verständnis des Begriffes „Ausgangsform“ ist für die Anwendung des Jenaplans konstitutiv. Diese Ausgangsform ist eine wesentliche Unterscheidung gegenüber anderen Schulkonzeptionen oder -modellen. Sie ist konkretisierbar und beschreibbar in der Erziehungsidee, in dem, was eine pädagogische Situation sein soll, in den Bildungsgrundformen und vor allem in der Vorstellung, dass die Erziehungsidee und die pädagogische Situation für den jeweils konkreten individuellen und gesellschaftlichen Rahmen eine andere Ausprägung haben werden. Bildlich gesprochen erhalten Pädagogen von Peter Petersen eine Form, von der sie „ausgehen“ und einen Plan. Doch es ist im Rahmen dieses Planes (Jenaplan) immer ihre Verantwortung, auf welchem Weg sie versuchen, das Ziel zu erreichen. Was in Jena absichtlich und bewusst unter den anerkannten Bedingungen der öffentlichen Schule erprobt wurde, sollte keineswegs ein Vorbild für eine bestimmte Schulart (etwa die Volksschule) sein. Peter Petersen ging davon aus, dass der Jenaplan „in jeder Schule verwirklicht werden kann, nur vorausgesetzt, dass die Erziehungsidee alles pädagogische Tun leiten und frei um ihren reinsten Ausdruck ringen kann.“[23]
„Es war aber der Zweck dieses ersten Versuches: Die Arbeit in einer Grundschulklasse nach den Grundsätzen einer Arbeits- und Gemeinschaftsschule so durchzuführen, dass er an keinem Orte an den finanziellen Mitteln scheitern kann, mit anderen Worten, an nichts außerhalb des Erziehungswillens. Daran ist auch noch in anderer Beziehung festgehalten worden: Es sind keine besonderen Lehrmittel, Bücher, Hefte, Schreibgeräte, Anschauungsmittel verwendet worden …“[24]
Worin besteht nun die „Erziehungsidee“, die alles pädagogische Tun leiten soll und die zu einem grundlegenden Verständnis der Ausgangsform führen soll?
Erziehungsidee
Peter Petersen leitet seine Erziehungsidee mit einer Frage ein:
„Wie soll die Erziehungsgemeinschaft beschaffen sein, in der und durch die ein Mensch seine Individualität zur Persönlichkeit vollenden kann?“[25]
In der Diskussion der Erziehungsidee ist es wichtig zu wissen, dass die kleine Schule (in Jena) den Kindern half, „Denken und Wollen anderer Weltanschauungsgruppen“ zu achten und zu verstehen „und dass man die Kunst der Kooperation mit Andersdenkenden“ ernsthaft lernte. Erziehung vollzieht sich nach der Erziehungsidee Peter Petersens in und durch die Gemeinschaft. Das Individuum bringt sich mit all seinen Fähigkeiten und Kenntnissen absichtslos in die echte Gemeinschaft ein und erfährt so seine Sinnerfüllung: Das Individuum wird zur Persönlichkeit durch Leben in der Gemeinschaft.[26]So gesehen ist die Frage nach der optimalen Unterrichtsmethodik zweitrangig gegenüber der alles entscheidenden Frage, wie der Unterricht„den beiden Ideen der Ehrfurcht vor dem Leben und der Erziehung, d.h. der Freimachung des Menschentums in jedem Kinde“, ohne Einschränkung dienen kann.[27]
Erst wenn ein echtes und reiches Gemeinschaftsleben funktioniert, kommen didaktische und methodische Überlegungen und Anstrengungen, die ja unbestritten die „besonderen Aufgaben“ der Schule sind, zu ihrem vollen Recht und zur Entfaltung ihres schulpädagogischen Sinns. Im gemeinschaftlichen Leben erfährt und erlebt der Mensch, dass er fähig und dass es für ihn notwendig ist, in sich das zu entwickeln und zu kultivieren, wozu nur Menschen fähig sind: zur Güte, zum Mitleid, zum Verstehen, zur Ehrfurcht, zur Treue, zur Rücksicht, zum Verzeihen, zur Freude (usw.). … man erfährt aber ebenso deutlich, dass Gemeinschaft gar nicht erst zustande kommt oder zerstört wird, wenn vielleicht nur eine der angesprochenen Handlungen nicht vollzogen wird, wenn nur eines der menschlichen Gefühle verweigert wird …
„Wollen wir also hinaus über die Klasse, wollen wir mehr als eine soziale Gruppe, dann müssen wir unsere Gruppen so gestalten und nun auch so leben lassen, dass in ihnen Raum ist für das zwischenmenschliche Geschehen und damit für eine wirkliche Gemeinschaftsbildung.“[28]
In einem nach diesen Erziehungsideen gestalteten Gemeinschaftsleben ist Bildung Entwicklung, Entfaltung und Formung des einzelnen nach seinen Möglichkeiten,[29] und jedes Individuum entwickelt sich nach einem ihm eigenen Bildungsgesetz.
Peter Petersen hatte überhaupt keine Hoffnung, dass die der neuen Demokratie adäquate Schule bloß durch neue (und erst recht nicht durch die „alten“ und vielfach bewährten) Schulmethoden zu begründen wäre. Vielmehr bedarf jedes Gemeinschaftsleben, das zur Bildung des jungen Menschen führt der „pädagogischen Situation“:
Peter Petersen beschreibt diese pädagogische Situation als einen problematischer Lebenskreis von Kindern oder Jugendlichen um einen Führer[30] und von diesem in pädagogischer Absicht derart geordnet, dass jedes Mitglied des Lebenskreises genötigt (gereizt, aus sich herausgetrieben) wird, als ganze Person zu handeln, tätig zu sein.[31]
Ca. 60 Jahre nach Entstehung dieses (sinngemäßen) Zitats – ich habe absichtlich den Begriff „Führer“ belassen – und mit unserem geschichtlichen Wissen, begegnen wir einem derartiges Zitat vielleicht mit einem skeptischen Blick. Die Pädagogik Peter Petersen war und ist der Erziehung zur Demokratie und Gemeinschaft verpflichtet. Die Idee der Ausgangsform weist auf die Freiheit der Gestaltung des pädagogischen Lebens hin und nicht auf eine Nachfolgeschaft. Die Pädagogik Peter Petersens sollte nach meinem Dafürhalten den so gebildeten Menschen von den Einflüssen totalitärer Politik vielmehr schützen.
Schule unter der Idee der Erziehung
Auch die heutzutage entstehenden Jenaplan-Schulen verstehen den Jenaplan Peter Petersens als Ausgangsform für die Bearbeitung der besonderen schulischen und sozialen Schwierigkeiten, die in den jeweils spezifischen Situationen vorhanden sind. Es gilt dabei das Prinzip der Freiheit der Gestaltungsmöglichkeit des Jenaplans. Diese Konstellation führt zu situativen Schwerpunktbildungen und zu situativen Entwicklungsverläufen. Es stehen, so gesehen, nirgends auf der Welt „fertige“ Jenaplan-Schulen.
Wo Jenaplan-Schulen zu finden sind, dort findet man immer Schulen auf dem Weg zu ihrer pädagogischen Form, wobei die Suche nach dieser Form immer der Versuch einer verantwortbaren und vernünftigen Antwort auf die spezifischen Probleme der Kinder, Lehrer und Eltern an diesem speziellen Ort ist. Lehrerinnen und Lehrer entwickeln bei ihrer Arbeit ein Bewusstsein, eine Vorstellung, die, verbunden sie mit den Intentionen Peter Petersens, einen „Plan“ zu haben, in einem Entwicklungsprozess zur Realisierung der Ideen führt, wie eine „freie allgemeine Volksschule“ in dieser Zeit eigentlich auszusehen hat.
Peter Petersen nannte seine Schule eine freie, allgemeine Volksschule, weil sie Kinder aller Volksschichten, unabhängig von Konfession, Herkunft und Elternhaus aufnimmt und weil sie bewusst, ausgesprochene Hilfsschulkinder, Knaben und Mädchen, die zu den „Bestbegabten“ der Stadt gehören, vereint…
Schule ist für Peter Petersen „Lebensstätte“ und damit … ist es nötig und unverzichtbar, gemeinschaftliches Zusammenleben in der Schule und durch die Schule zu ermöglichen. Es muss sich in allen Teilen um echtes Leben handeln, damit ein Kind in der Schule nun wirklich lernen kann, verständnisvoll und gütig zu sein. Wie im wirklichen Leben (das muss die „Führung des Unterrichts“ leisten) muss ein Kind direkt erleben und erfahren können, was es für es selbst und natürlich auch für andere Kinder oder die Lehrer und Eltern bedeutet, verständnisvoll und gütig zu sein, was es bedeutet, sich selbst oder anderen die Güte vorzuenthalten oder zu verweigern.
Der Lernraum soll nach Peter Petersen anregungsreich und wohnlich gestaltet werden. Die „Vorordnungen“ sind Sache des Lehrers, die Ausgestaltung und Pflege Sache der Kinder. Der Lehrer hat das Schulleben und den Unterricht so vorzuordnen (durch eine Pädagogik des Unterrichtes) und im Unterricht solche Hilfen zu geben (durch eine Pädagogik im Unterricht), dass es Kindern gelingen kann, selbständig Probleme zu finden, zu bearbeiten und zu lösen, in Ruhe und Gelassenheit etwas zu Ende zu denken oder eine Aufgabe zu vollenden. So gesehen ist die Jenaplan-Schule auch immer eine Schule des Schweigens und der Stille. Diese Grundhaltung wird noch verstärkt durch die bewusste Kultur der Bildungsgrundformen.
Die Bildungsgrundformen
Peter Petersen nennt vier so genannte Bildungsgrundformen, die ihrerseits wiederum eine unverzichtbare Konkretisierung der Ausgangsform darstellen und daher in jeder Jenaplan-Schule bei der Gestaltung des Unterrichtes zu finden sein werden:
- das Gespräch,
- die Arbeit,
- die Feier und
- das Spiel
Nach Peter Petersen ist das Miteinander-Sprechen von den vier Aktivitäten der Bildungsgrundformen entwicklungspsychologisch betrachtet auch die wichtigste Kommunikationsform. Die Sprache eines Menschen fordert das Kind zur Aktivität auf. Gemeint sind alle „unterrichtlichen“ Gesprächsformen, die auch wir kennen: Kreisgespräch, Klassengespräch, Gruppengespräch, Berichte, Aussprache, Lehrgang, belehrende Unterhaltung, Frühstück, …
Die Nennung des Spiels als Bildungsgrundform bedeutet, dass in einer Jenaplan-Schule für die Kinder genügend Gelegenheit zum „freien“ Spiel vorhanden sein muss, wobei der Lehrer beobachtet. Das Spiel wird als gänzlich anderer Bereich der menschlichen Entwicklung gesehen als z.B. die Arbeit.[32] Beispiele: Freies Spiel, Lernspiel, Zweckspiel im Sport und in der Pause, Schauspiel, …
Peter Petersen unterscheidet in der Arbeitssituation die „Gruppenarbeit“ und die „Kurse“. Während der Gruppenarbeit sitzen die Kinder in ihrer Stammgruppe in Tischgruppen. Die Kinder dürfen sich ihren Platz und ihren Arbeitspartner aussuchen. In den niederländischen Jenaplan-Schulen wird diese Gruppenarbeit „blokperiode“ genannt. In diesen Perioden von täglich mehr als 100 Minuten arbeiten die Kinder an Aufgaben aus den Bereichen der Mathematik, Sprache, Natur- und Kulturorientierung, sie bereiten die Tagesbeginn- oder Wochenschlussfeier, den Lesekreis, usw. vor. Oft wird die Arbeit in Form eines „Arbeitskontraktes“ festgelegt; für die Einhaltung des Kontraktes ist das Kind verantwortlich (mit Hilfe des Lehrers). Unter Arbeit wird vor allem die selbsttätige und bildende Arbeit des Kindes verstanden, die in den bekannten Formen der Einzelarbeit, der Partnerarbeit, der Gruppenarbeit oder auch in einem Kurs getan werden kann. Und ein für selbständige Arbeit vorhandenes Arbeitsmittel[33] „ … ist ein Gegenstand, der mit eindeutiger didaktischer Absicht geladen ist, hergestellt, damit sich das Kind frei und selbständig dadurch bilden kann.“[34]
Die Feier ist nach Peter Petersen eine Aktivität, die zu einer Schule, die sich als eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft versteht, unbedingt dazu gehört. Sie ist das wesentliche, gemeinschaftsbildende Element. Sie wird vom Lehrer dargeboten oder geleitet, von den Schülern selbständig gestaltet; in der Stammgruppe, Schulstufe oder Schulgemeinde abgehalten. Gefeiert wird z.B. der Wochenbeginn mit einer Schulversammlung oder auch der Beginn eines Projektes mit einem Theaterstück oder ganz einfach der individuelle Geburtstag…
Wochenrhythmus und rhythmischer Wochenarbeitsplan
Die Unterrichtsabfolge in einer Jenaplan-Schule ergibt sich aus einer rhythmischen Abfolge der Bildungsgrundformen und pädagogischer Situationen. Der herkömmliche Stundenplan passt nicht dazu. Die Alternative zum Stundenplan ist im Jenaplan-Konzept der so genannte rhythmische Wochenarbeitsplan, worin angegeben wird, welche Aktivitäten wann an der Reihe sind:
- Der Wochenarbeitsplan zeigt, wie man durch Gesprächs-, Spiel-, Arbeits- und Feiersituationen nach einer rhythmischen Ordnung bestrebt ist.
- Der Montagmorgen fängt mit einer Feier, mit einem Gespräch an.
- Im Wochenarbeitsplan sind einige Perioden für die Gruppenarbeit aufgenommen.
- Der letzte Schultag der Woche endet mit einer Feier, einem Gespräch.
- Der Wochenarbeitsplan enthält für den letzten Schulwochentag eine Periode für die Freie Arbeit – Übernehmen von Verantwortung.
Schulleben und Unterricht und damit auch die Abfolge der Bildungsgrundformen sollen in einem natürlichen Wochenrhythmus schwingen. Dieser Wochenarbeitsplan ist nicht primär Grundlage für die Wochenarbeitsstunden, sondern soll Lernen in fächerübergreifenden Zusammenhängen auf der Basis der „Bildungsgrundformen“ ermöglichen. Peter Petersen zweifelt energisch daran, ob der „Fetzenstundenplan“ mit seinen permanent expandierenden Fächerkombinationen ein geeigneter Zugang zur Welt für Kinder sein kann. Er entwarf den so genannten „rhythmischen Wochenarbeitsplan“, der die Woche für ein Kind sinnvoll gliedert, Offenheiten und Verbindlichkeiten zugleich schafft und dem lehrerzentrierten Unterricht seine schulpädagogisch sinnvolle Position läßt, aber ihm die Dominanz im Schulalltag nimmt.
Für Peter Petersen ist auch der rhythmische Wochenarbeitsplan ein wesentlicher Teil des Verständnisses von Schule als „Lebensstätte“ und nicht als Unterrichtsanstalt, weil letztere nur am Schüler interessiert sein kann, der Jenaplan aber an der „ganzen Person“ des Kindes interessiert ist. Der Klassenraum darf nicht länger „Belehrungszelle“ sein, der Stundenplan nicht länger die Sicht auf (Lebens-) Zusammenhänge verbauen.
Die Gruppierungsformen
Eines der deutlichsten äußeren Kennzeichen des Jenaplan-Unterrichtes ist die Gruppierung der Kinder; möglicher Altersaufbau der Gruppen nach Peter Petersen:
- 4 und 5jährig – Kleinkindergruppe
- 6-9jährige Kinder
- 9-12jährige Kinder
- 13-14jährige Kinder
- 15-16jährige Kinder.
Peter Petersen wendet sich immer wieder entschieden gegen die klassikale Unterrichtsstruktur und gegen eine altershomogene Klasseneinteilung. Die Fiktion einer homogenen Lerngruppe existiert im Jenaplan nicht.
Beispielhafte Konsequenzen des auf J. Amos Comenius zurückgehenden altersmäßigen Unterrichtes sind die u. a. die Bürokratisierung der Schule, die Einteilung des Lehrstoffes für ein Jahr, für ein Monat, für eine Woche (z.B. Wochenthema), für einen Tag, … Eine Einteilung der Kinder einer Schule in Jahrgangsklassen geht von der falschen Voraussetzung aus, dass Kinder gleichen Alters sich auch auf einem gleichen Entwicklungsniveau befänden und dass sie dadurch auch für den „gleichen“ Unterricht fähig wären. In weiterer Konsequenz bedeutet eine Ordnung einer Schule nach Jahrgängen, dass alle Schüler zur selben Zeit auch die selben Ziele erreichen sollen, einen nach Schuljahren geordneten Lehrplan und letztendlich die Möglichkeit des Sitzen bleiben …[35] In einer Schule ohne Jahrgangsklassen gäbe es auch kein Sitzen bleiben mehr! In einer Schule ohne Jahrgangsklassen werden auch die Ziele des Lehrplanes erreicht, vielleicht früher, vielleicht später, je nach Entwicklungsstand des Kindes.
Meist finden wir in den verschiedenen Jenaplan-Schulen folgende Gruppen, denen die Kinder angehören können:
- die Stammgruppe,
- die Tisch- und Arbeitsgruppe,
- die Niveaugruppe und
- die freie Wahlgruppe.
Die Bezugsgruppe für jedes Kind ist seine „Stammgruppe“, in die die Jahrgangsklassen aufgelöst sind, auf deren Bankrott Peter Petersen nicht müde wurde hinzuweisen. In dieser Gruppe werden die Kinder unterschiedlichen Alters bewusst zusammengebracht. Sie soll in der Regel drei Schuljahrgänge umfassen. Die Stammgruppe wiederum ist eingelagert in die Schulgemeinde. Peter Petersen spricht aber erst von einer Stammgruppe, wenn die Altersheterogenität auch pädagogisch benutzt wird. In dieser Stammgruppe hat ein Kind einige Jahre denselben Lehrer. In der Grundschule wird die Stammgruppe von einem Lehrer begleitet. In den Niveaugruppen und den freien Wahlgruppen haben die Kinder aber auch andere Lehrer.
Innerhalb der Stammgruppe unterscheiden wir „Tisch- und Arbeitsgruppen“. Sie werden frei von den Kindern zusammengestellt. Funktion der Tischgruppe kommt am deutlichsten bei der Gruppenarbeit zum Ausdruck.
Für differenziertes und leistungsbezogenes Arbeiten können die Kinder auch in so genannte „Niveaugruppen“ eingeteilt werden. In diese Gruppe(n) werden Kinder eingeteilt, die ungefähr den gleichen Lernfortschritt in einem bestimmten Lerngebiet haben. Programmteile einer Jenaplan-Schule, die so organisiert werden, werden Niveaukurse genannt. Ab dem 5. Schuljahr werden in der ganzen Schule die Niveaukurse täglich gleichzeitig organisiert. Durch die Organisation in Niveaukursen ist das Sitzen bleiben überflüssig geworden. Jedes einzelne Kind kann in seinem Lerntempo den Stoff, der so organisiert wird, bewältigen, da die Einteilung nach dem jeweiligen Niveau des Kindes stattfinden kann. Beheimatet ist jedes Kind nach wie vor in seiner Stammgruppe.
Für die Individualisierung des Lernens können auch „freie Wahlgruppen“ eingerichtet werden. In diesem Fall wählt das Kind für eine bestimmte Periode eine Aktivität aus, für die es sich speziell interessiert. Durch seine eigene Wahl verpflichtet sich das Kind, diesem Kurs zu folgen, bis eine andere Auswahl möglich ist.
Charakteristik statt Zensur
Es werden nach Möglichkeit und Gesetzgebung keine Ziffernnoten erteilt. Als Zeugnis werden ein objektiver und ein subjektiver Bericht erstellt. Der objektive Bericht ist Grundlage für die Verständigung mit den Eltern über die gemeinsame Erziehungsarbeit.
Der subjektive Bericht ist Grundlage für eine abschließendes Gespräch mit dem Kind und zugleich das „Zeugnis“, das mit nach Hause genommen wird.[36]
Dass dort, wo ein Lernen konsequent gepflegt wird, das seinen Anfang beim kindlichen Interesse nimmt, Noten und Zeugnisse ihre hypertrophe Bedeutung einbüßen, verdient kaum erwähnt zu werden, wohl aber, dass nach Formen gesucht wird, Leistungen der Kinder in pädagogisch verantwortlicher Weise anzuerkennen und individuell zu bewerten. Gleichförmigkeit und Uniformität können in keiner Jenaplan-Schule zu rechtfertigen sein.
Beispiele von Charakteristiken statt Zensur
Die Form der Beurteilung hat mit unserer Vorstellung von Noten kaum mehr etwas gemein. Es wird den Kindern und den Eltern genau Auskunft gegeben, und in dem Sinne sind die hier zitierten Möglichkeiten sicher viel sagender als unsere Ziffernnoten. Jede Jenaplan-Schule wird sich nach den gesetzlichen Möglichkeiten ihre Form der Charakteristik zu Recht legen. Ziffernnoten wird es aber höchstens beim Übertritt in eine höhere, weiterführende Schule geben.
Zusammenfassung
Die Individualisierung des Unterrichtes durch das Bereitstellen pädagogischer Situationen ist ein wesentliches Element des Schullebens nach dem Jenaplan. In jeder Jenaplan-Schule wird der individuelle Prozess des Sinn entdeckenden Lernens in den Vordergrund der pädagogischen Arbeit stehen. Wie z.B. jemand nach einem Gespräch über bestimmte Themen denkt, ist seine Sache. Das Besprechen der Probleme und die Übertragung von Fachkenntnissen sind darum zwei verschiedene Sachen. Diese Kenntnisse liefern die notwendige Basis für einen sinnvollen Dialog. Wird nichts mit den Kenntnissen gemacht, dann bleiben sie steril. Werden diese nicht erlebt, physisch, rational und emotional, dann bleibt die Integration aus, dann füttern wir im Unterricht nur das Gedächtnis…
Ein Schulkonzept nach dem Jenaplan bietet die Möglichkeit der Gestaltung einer sehr flexiblen und kindgerechten Schulorganisation und Schuleingangsphase durch die Lehrer. Die Organisation der Schule erfolgt nicht mehr nach Jahrgangsklassen. Stammgruppen mit den pädagogischen Vorteilen der Altersheterogenität, das voneinander- und miteinander Lernen; ein hoch differenzierter und individualisierender Unterricht, Schülermitplanung und Schülermitgestaltung bei Schulorganisation, die Betonung des Gespräches und der Feier und die Freiheit der Schulgestaltung nach einer Ausgangsform charakterisieren ein Schulkonzept nach dem Jenaplan.
Ein Beispiel
„Aus der Schule als Ganzem etwas Neues zu machen, d.h. das ganze Schulleben von Grund auf radikal zu ändern. Und dann gelte es, dort hinein den Unterricht zu setzen und sorgfältig zu prüfen und zu erproben, wie sich dieser ändern werde, wenn man gezwungen sei, immer jenes neue Schulleben zu erhalten, die neue Schulgesinnung zu bewahren, also kurz gesagt: Den Unterricht der Erziehung zu unterwerfen, zuerst Erzieher, dann erst Lehrer zu sein.“[37]
Ein derartiges Schulkonzept ist auch auf Peter Petersens Hoffnung begründet, … „dass diejenigen Lehrer, welche der Schuljugend nicht als Parteipolitiker und nicht als Werkzeuge politisierender Konfessionen dienen wollen, welche also die Idee des pädagogischen Tuns zum Leitgedanken ihrer alltäglichen Berufsarbeit erheben, immer noch die große Mehrheit der Lehrerschaft bilden“.[38] Die Jenaplan-Schule ist überkonfessionell, interkulturell und lehnt weltanschauliche Ausgrenzung ab. Damit ist eine Jenaplan-Schule nicht nur eine Schule der Gegenwart, sondern ebenso eine Schule der Zukunft.
Beispiel einer Schulentwicklung nach dem Jenaplan
Es ist dies die Geschichte einer Schulentwicklung in den Niederlanden. Diese Schulentwicklung erfolgte in Schulfreiheit nach pädagogischen Modellen. Anschließend wird auch die Frage gestellt, was in Österreich vergleichbar möglich wäre.
Während einer meiner so genannten „educational safaris abroad“, wie auch Helen Parkhurst[39] ihre Bildungsreisen nannte, erzählte mir einer der Direktoren einer holländischen Pflichtschule die Geschichte der Gründung und Entstehung einer Schule. Für Holland ist diese Schule wahrscheinlich gar keine besondere Schule: Eine Grundschule, die sich an den pädagogischen Richtlinien des Jenaplans von Peter Petersens orientiert. Für meine Ohren klang diese Geschichte fast utopisch.
Schulerneuerung in Holland
Die Geschichte beginnt damit, dass vor einigen Jahren die Eltern an die Schulleitung der schon bestehenden staatlichen Schule mit dem Wunsch herangetreten sind, dass sie für ihre Kinder gerne eine so genannte Jenaplan-Schule hätten. Aber so genau wüssten sie eigentlich auch wieder nicht, wie die Schule eigentlich sein sollte und was denn eine Jenaplan-Schule genau sei und ganz einig über ihre Vorstellungen seien sie sich auch nicht. Direktor Seybel, der mir diese Geschichte erzählte, nahm die Anregung als Anlass zur Schulentwicklung und zum Aufbau einer Jenaplan-Abteilung an seiner Schule.
Die Arbeit begann mit intensivem Literaturstudium und mit Anfragen beim Jenaplan-Verein. Das Studium der Jenaplan-Literatur und die Diskussionen führten zu der Erkenntnis, dass keine zur Gänze übertragbaren Modelle vorhanden sind und dass vielmehr jede Jenaplan-Schule ihre eigene Form finden könne und müsse. Nun wurde am Beginn dieses Prozesses auch deutlich, dass an der Entwicklung einer neuen Schule alle Betroffenen beteiligt werden müssen, also nicht nur die Direktoren und Lehrer, sondern auch die Eltern und selbstverständlich auch die Kinder. Dieser Erkenntnis entsprechend, wurden Arbeitsgruppen gebildet, die ein Jahr lang ihre Aufgaben zu erledigen hatten und immer wieder zu Besprechungen zusammenkamen:
- In die Arbeitsgruppe I, in der Schüler, Lehrer und Eltern vertreten waren,
wurden Kinder, die eine Jenaplan-Schule besucht hatten oder noch eine
Jenaplan-Schule besuchten, eingeladen. Sie berichteten Schülern und
Lehrern von ihren Erfahrungen, von dem, was ihnen gefallen hat und
was sie anders machen würden, von der Organisation und den Inhalten
und wie es ihnen in den weiterführenden Schulen geht. Auf der
Grundlage dieser Gespräche entwickelte diese Arbeitsgruppe
ihr Schulkonzept. - In der Arbeitsgruppe II versuchten Eltern, ihre Vorstellungen zu
konkretisieren und zu Papier zu bringen. - In der Arbeitsgruppe III arbeiteten Lehrer der Sekundarstufe I an der
Konkretisierung ihrer Vorstellungen, was Kinder können sollen,
wenn sie von der Grundschule und die Sekundarstufe I übertreten.
Sie formulierten die Anforderungen des so genannten
„Diplom vorbereitenden“ Unterrichtes und die Kriterien
einer „Qualitätsschule“. - Arbeitsgruppe IV war eine Resonanzgruppe. Diese Gruppe bestand
aus erfahrenen Lehrern von Jenaplan-Schulen, aus beratenden
Personen des Jenaplan-Vereines und auch aus Schulberatern des Lehrplanentwicklungsinstitutes. Personen dieser Gruppe hatten
vorwiegend beratende und helfende Funktionen beim Aufbau der Schule.
Peter Petersen nannte sein Schulkonzept eine Ausgangsform[40], die in ihrer Realisierung von Schule zu Schule variieren kann, die aber immer zur Arbeit und zum Lernen in einer pädagogischen Situation führen soll. Wesentliches Kriterium der pädagogischen Situation ist die innere Betroffenheit des Lernenden, das tiefe Verständnis der Wichtigkeit und Bedeutung für das, was es zu lernen gilt. Diese Notwendigkeit, eine pädagogische Situation zu schaffen, hatten die Arbeitsgruppen bei der Erstellung ihrer Konzepte immer im Auge. Und vor der Durchführung eines gemeinsamen Konzeptes wurde mit dem Team, das Jenaplan an der Schule starten sollte, sogar ein Training durchgeführt, um die pädagogische Situation innerhalb der alltäglichen Schulsituation herstellen zu können. Aus diesem Rollenspiel entstanden drei Projekte, mit denen die eigentliche Jenaplan-Arbeit in der Schule begann und die dem Verständnis von pädagogischer Situation weitestgehend entsprachen. Jedes dieser Projekte dauerte jeweils ein Schuljahr.
Das Generalthema des ersten Projektes lautete: „Alte Schule – neu Schule“. Dieses Projekt wurde nicht nur von dem Team, das die Jenaplan-Arbeit beginnen sollte, durchgeführt. Auch im zweiten Jahr der Schulentwicklung beschäftigten sich Schüler und Lehrer mit diesem Projektthema. Das Projekt war in drei Teile gegliedert, an denen, wie aus den Teilthemen ersichtlich ist, Lehrer und Schüler unterschiedlich intensiv beteiligt waren. Teil 1 sollte das individuelle Entwicklungsniveau der Kinder möglichst genau beschreiben, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten sichtbar und für den Unterricht fruchtbar machen zu können. Dieses Thema veränderte vor allem die Perspektive der Lehrer, in der sie bisher ihre Schüler gesehen hatten. Gleichsam im Anschluss an dieses Thema sollte das 2. Teilthema den Weg vom „klassikalen“ Unterricht zur individuellen Arbeit in der Schule beschreiben. Dabei sollten auch Fragen beantwortet werden, die mit der pädagogischen Situation Peter Petersens in einem engen Zusammenhang stehen, wie z.B. „Warum lernen wir diese Gegenstände?“ „Inwiefern hat das, was ich in der Schule lerne, für mich Bedeutung für mein Leben?“ „Wie können wir am besten darüber reden, was wir hier eigentlich machen?“ Deckte dieser zweite Teilbereich im ersten Projekt eher die Gegenwartsbezogenheit des schulischen Lernens ab, so war der dritte Teilbereich der Zukunftsperspektive des schulischen Lernens gewidmet: „Was muss ich lernen, um weiterführende Bildungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen zu können?“ In dieses Thema flossen nicht nur nationale Bildungsaspekte ein, sondern auch Bildungsmöglichkeiten in Europa.
Aus diesem letztgenannten Bildungsaspekt wird auch ein europäisches Bewusstsein sichtbar, das den meisten Lehrerinnen und Lehrern in Österreich aufgrund der noch kurzen Mitgliedschaft bei der Europäischen Union vielleicht noch fremd ist. Zur besseren Verständlichkeit dieses ersten Projektthemas ist auch noch zu ergänzen, dass die herkömmlichen Lern- und Bildungsinhalte, wie wir sie aus unserem fächerbezogenen Unterricht kennen, nach Möglichkeit in die Teilthemen des Projektes integriert worden sind und dass es neben dem Projektunterricht auch noch den so genannten „klassikalen“ Unterricht gab.
Im zweiten Projektjahr beschäftige sich ein weiteres Schüler- und Lehrerteam mit einem auf dem ersten Blick doch völlig fremd anmutenden Thema. Zur näheren Erklärung darf vorausgeschickt werden, dass es in Holland traditionellerweise in den Schulen ein Fach mit der Bezeichnung „Weltorientierung“ gibt. Das zweite Projekt hatte einen engen Zusammenhang mit der Weltorientierung:
Der Titel des zweiten Großprojektes lautete „Utopia“. Dieses Projekt umfasste einen Zeitraum von drei Schuljahren, wobei jedem Schuljahr ein dementsprechend umfassendes Teilthema zugewiesen worden war. So bekamen die Schüler im ersten Schuljahr des Projektes in Utopia eine Insel, nicht mehr als 50 x 50 km groß. Die Schüler arbeiteten in Teams, und jedes Team hatte nun die Aufgabe, eine Insel bzw. ein Land zu gestalten. Bei dieser Arbeit war nicht nur eine realistische Gestaltung, sondern ebenso eine idealistische Ausformung der Ideen der Kinder zulässig. Zu beschreiben waren Landschaft, Städte, Wirtschaft, wie die Menschen wohnen, die Kunst, das Fernsehen und ähnliche Themen mehr und auch die Zusammenhänge zwischen diesen beschriebenen Themen. Die Lehrer halfen immer wieder durch entsprechende Fragen, Klärungen und Informationshinweise weiter. Es entstanden Modelle. Zum Abschluss dieses Projektteiles beantworteten die Schüler die Frage: „Wie lebt man in diesem Land?“ Teil 2 des Gesamtprojektes Utopia stellte die Schüler vor die Aufgabe, die Länder nun zusammenzusetzen zu einer Vereinigung. Die Schüler verhandelten, bildeten im Rollenspiel ein Parlament, lernten und übten demokratisches Verhalten nicht nur für das Land, das sie geschaffen hatten, sondern auch für ihre eigene Schul- und Lebenssituation und suchten vor allem immer wieder Problemlösungen. Vergleiche mit realen politischen Problemen und Lösungen aus den Medien wurden herangezogen, nationale und internationale Fragen diskutiert. Im dritten Teil des Projektes standen die ideale Entwicklung des Landes und die Reflexion der Entwicklung im Vordergrund des schulischen Arbeitens und Forschens. Die Kinder beschrieben, wie sie sich die ideale Entwicklung ihres Landes in dem von ihnen geschaffenen Großkontinent ursprünglich vorgestellt und was daraus geworden war. Auf dieser Grundlage formulierten sie auch, was sie nach all dem nun Erfahrenen und Gelernten für ihr eigenes Land möchten.
Nun gebe ich zu, dass mich, als ich die Geschichte der Schulentwicklung zum ersten Mal hörte, das Projekt „Utopia“ auch utopisch anmutete. Erst nach und nach, mit dem vermehrten Eindringen in die Jenaplan-Pädagogik, begann ich die pädagogische Notwendigkeit dieses Themas schrittweise zu verstehen und zu akzeptieren: Es ist ein Thema, das für die Kinder lebensbedeutend ist… Das trifft auch für das dritte Projektthema zu, und es ist wahrscheinlich in seinem Zustandekommen nicht leichter zu verstehen, aber doch in einem logischen Zusammenhang zu sehen.
Der Titel des dritten Projektes war ein Arbeitstitel: „Der Unterschied zwischen Eskimos und Franzosen“. Was soll denn das eigentlich heißen? Und warum gerade Eskimos und Franzosen? Es geht in diesem Projekt um Bilder in unseren Köpfen, um Vorurteile, vielleicht um Witze, sicher darum, war wir über andere Menschen denken. Über Menschen, die weit weg leben und wohnen und über Menschen, mit denen wir in Nachbarschaft leben. Die Eskimos sind Beispiel für Menschen, die weit weg leben und über die wir ganz wenig aus eigener Erfahrung wissen. Im Lauf dieses Projektes wird mit Kindern in dem bestimmten – meist benachbarten – Land Kontakt aufgenommen, wobei die Landessprache des angeschriebenen Kindes benutzt werden sollte. Diese Kinder wurden gefragt, inwieweit die Bilder, die z.B. nun Holländer von Franzosen oder Engländer oder Österreicher haben, auch stimmen. Die weiterführende Korrespondenz enthielt als Antwort auch die Selbsteinschätzung der jeweiligen Korrespondenzpartner, und auch die holländischen Kinder versuchten, ihr Bild von ihrem eigenen Land zu vermitteln. Die Korrespondenz darüber, wie sich die holländischen Kinder selbst wahrnehmen, führt uns zum zweiten Teil dieses Projektes. Die Kinder beschrieben sich selbst und tauschten immer mehr Informationen über Holland und das von ihnen gewählte Land mit ihren Korrespondenzpartnern aus. Bei diesen Arbeiten mussten die Lehrer ihre Schüler vor allem sprachlich, aber auch bei den gewählten Inhalten unterstützen. So richtete sich auch der „klassikale“ Unterricht nach den mit den Korrespondenzpartnern gewählten Themen, wobei Geschichte, Geographie, Politik und dgl. im Vordergrund der Arbeit gestanden haben werden. Der dritte Teil des Projektes bestand in einem mehrwöchigen Auslandsaufenthalt beim jeweiligen Korrespondenzpartner und der entsprechenden Auswertung und Reflexion dieses Aufenthaltes im Zusammenhang mit dem Projektthema.
Die eben kurz beschriebenen Projektthemen waren in dieser Zeit nicht die einzigen, an denen Kinder in einer sich entwickelnden Jenaplan-Schule arbeiteten. „Die vier Elemente“, „Die Stadt“ oder „Flüchtlinge“ waren weitere Projektthemen. Die dargestellten Themen waren mit der Entwicklung der Jenaplan-Abteilung in dieser Schule eng verbunden, weil sich Schüler immer wieder mit ihrer eigenen Lebenssituation auseinandersetzen und an derselben für sich und für ihr Leben lernen konnten.
Während dieser Arbeit mussten auch sukzessive die Organisationsformen der Schule geändert werden. Peter Petersens Vorschlägen folgend, gibt es in dieser Schule, wie übrigens in den meisten reformpädagogischen Schulen, keine Jahrgangsklassen mehr. Die Schüler sind in Jenaplan-Schulen in jahrgangsübergreifende Stammgruppen eingeteilt und gehören innerhalb dieser Stammgruppe einer so genannten Tischgruppe an. So dürfen wir uns wohl auch vorstellen, dass nicht immer alle Schüler an den beschriebenen Projekten über die gesamte Zeitspanne hinweg beschäftigt waren. Die Organisationsform in Stammgruppen öffnet für die gemeinsame Arbeit von Schülern und Lehrern die Möglichkeit von weitgehender Differenzierung nach Interessen, Themen und Leistungsfähigkeit in den verschiedenen Bereichen.[41]
Für die Lehrerinnen und Lehrer bedeutete die Entwicklung der Jenaplan-Abteilung einen intensiven Lernprozess. Ihre bisherige Arbeitsweise wurde durch die Veränderungen immer wieder in Frage gestellt. An ihre Fähigkeit der didaktischen und methodischen Reflexion in Bezug auf ein didaktisches System wurden und werden hohe Anforderungen gestellt. Der Anteil der Teamarbeit im Unterricht und in der Unterrichtsplanung nahm mit fortschreitender Entwicklung zu einer Jenaplan-Schule stetig zu. Der von den Lehrerinnen und Lehrern initiierte Unterricht folgte der Entwicklungslinie der Projekte. Der Zusammenhang zwischen diesem Unterricht und den Projektthemen musste in den Planungsgesprächen der Lehrerinnen und Lehrer und vor allem für die Schüler immer wieder hergestellt werden. Es ist schwierig, immer wieder pädagogische Situationen zu kreieren, Themen, zum Projekt passend, neu einzuführen, die Richtung und den Fortgang des Projektes zu reflektieren, Projektpräsentationen vorzubereiten, den Schülern über ihren Lernfortschritt umfassend und konstruktiv Auskunft zu geben und die Eltern über die schulische Arbeit ausreichend und befriedigend zu informieren bzw. mit ihnen immer wieder zusammenzuarbeiten und sie in der Entwicklung der Schule als gleichwertigen Partner zu sehen.
Die Arbeit der Lehrerin und des Lehrers ist nicht mehr fast ausschließlich das Unterrichten, sondern im zunehmenden Maß das Begleiten des Lernprozesses seiner Schüler. Dies bedeutet, dass Lehrer und Lehrerinnen Antworten geben können müssen auf Fragen, die die Schüler stellen oder dass sie ebenso helfen können, diese Antworten zu finden, während sie vielleicht früher Antworten auf Fragen gegeben haben, die von den Schülern gar nicht gestellt worden sind. Von ihnen werden in dieser gemeinsamen Arbeit sowohl eine hohe Fachkompetenz wie auch eine Kompetenz als Lernstratege erwartet. Kindern in ihrem Lernprozess zu helfen, bedeutet, ihnen Wege zur Entwicklung individueller Lernstrategien zeigen zu können. Der Ausspruch eines holländischen Wissenschaftlers „Time spent for teaching is lost for learning“ ist in dieser Radikalität für schulisches Lernen sicherlich nicht zutreffend, zeigt aber die Richtung, in die sich schulische Arbeit und schulisches Lernen, zumindest in Holland, entwickelt: Der Schwerpunkt der Lehrerarbeit verschiebt sich von der Lehrertätigkeit „Unterrichten“ zur Schüleraktivität, zum individuellen und eigenständigen Arbeiten und Lernen. Nun ist es Aufgabe der Lehrerin und des Lehrers, den Schülern lernen zu lehren und deren Aufgabe, lernen zu lernen. In einer solchen Schule müssen Lehrerinnen und Lehrer von der Individualität des Kindes ausgehen und gemeinsam mit ihm die nächste Stufe der Entwicklung finden bzw. dem Kind den Weg dorthin zeigen können, im wahren Sinn des Wortes ein Pädagoge sein können.
Die Geschichte dieser niederländischen Schule hätte sich so 1996 in Österreich in der staatlichen Schule nicht ereignen können:
In der Regel sind Eltern an der organisatorischen und inhaltlichen Entwicklung der öffentlichen Schule, in die ihre Kinder gehen, nicht beteiligt. Eine Ausnahme bilden hier die Eltern, die für ihre Kinder eine „Alternativschule“ gründen und diese über Jahre hindurch mühsam erhalten. Noch seltener sind in Österreich wahrscheinlich die Schüler selbst an der Entwicklung ihrer eigenen Schule beteiligt.
Kaum jemand hätte sich in Österreich für seine Kinder eine Jenaplan-Schule gewünscht. Diese reformpädagogische Richtung ist in Österreich im Gegensatz zu vielen europäischen Ländern bis auf ganz wenige Ausnahmen unbekannt. Das ist mit ein Grund, warum es in Österreich nur ganz wenige reformpädagogischen Schulen gibt. Österreich weist im Vergleich zu vielen europäischen Ländern ein fast vollständiges Defizit an reformpädagogischen Schulen auf.
Die österreichische Schulgesetzgebung erschwert durch die Einteilung der Volksschule in eine Grundstufe I und eine Grundstufe II die in den meisten reformpädagogischen Schulen bevorzugte Organisationsform der altersheterogenen Gruppenbildung.
Im Bewusstsein der meisten Österreicher ist Schule etwas, was bereitgestellt wird und nicht etwas, was es aufgrund vorliegender pädagogischer Ideen und Konzepte zu entwickeln gilt. Noch ist Schule nicht etwas, das von Lehrern, Eltern und Kindern gemeinsam aufgebaut werden kann, das einem permanenten Entwicklungsprozess unterliegt. Noch werden viel eher die Kinder der bestehenden Schule angepasst, als die Schule für die Kinder verändert…
[1] Petersen, Peter, Der Kleine Jenaplan, Langensalza 1927, 56. – 60. Aufl., Weinheim 1970, S. 7
[2] Petersen, Peter: Führungslehre des Unterrichts, (1937), 3. Auflage, Hannover 1951, S. 22.
[3] Petersen, (1937) 1951; 2, 43ff., 66ff.
[4] Vgl. Dietrich, Theo: Die Vorgeschichte des Jena-Plans – nationale und internationale Einflüsse. In: Salzmann, Christian (Hrsg.): Die Sprache der Reformpädagogik als Problem ihrer Reaktualisierung. Dargestellt am Beispiel von Peter Petersen und Adolf Reichwein. Heinsberg 1987, S.131.
[5] Petersen, (1927) 1951; 13.
[6] Petersen, (1927) 1951; 11.
[7] Petersen, (1937) 1951; 50.
[8] Petersen, (1927) 1951; 10.
[9] Petersen, 1927; 27.
[10] Vgl. Petersen, (1927) 1951; 9.
[11] Petersen, (1937) 1951; 80.
[12] Vgl. Fröbel, Friedrich: Menschenerziehung. 1826; § 86. Neu herausgegeben von Zimmermann, Leipzig 1913.
[13] Vgl. Petersen, (1927) 1951; 21.
[14] Vgl. Petersen, (1927) 1951; 8.
[15] Petersen, (1937) 1951; 43;77.
[16] Dietrich, Theo: Die Vorgeschichte des Jena-Plans – nationale und internationale Einflüsse. In: Salzmann, Christian (Hrsg.): Die Sprache der Reformpädagogik als Problem ihrer Reaktualisierung. Dargestellt am Beispiel von Peter Petersen und Adolf Reichwein. Heinsberg 1987, S. 150.
[17] Petersen, Peter: Der Mensch in der Erziehungswirklichkeit, Mühlheim/Ruhr 1954, S. 41.
[18] Zusammenstellung Jenaplan-Forschungsstelle der Justus-Liebig-Universität in Gießen
[19] Siehe dazu: Klaßen, Theodor F., Stichwort: Jenaplan. In: Schmutzer, Ernst (Hg.), Reformpädagogik in Jena, Jena 1991, S. 68 ff., hier bes. S. 71 ff.
[20] Es bestand die Übung, die Konzepte nach den Städten ihres Entstehens zu benennen; siehe dazu: Klaßen, Theodor F., Stichwort: Jenaplan. (siehe Anm. 6 ), S. 71
[21] Vgl., Seyfarth-Stubenrauch, Michael, Jenaplan-Pädagogik. Historischer Hintergrund – Aktuelle Konzepte. In: Eichelberger, Harald, Lebendige Reformpädagogik, Innsbruck 1997, S. 131 f.
[22] Petersen, Peter, Eine freie allgemeine Volksschule. In: Röhrs, Hermann (Hg.), Die Schulen der Reformpädagogik heute, Düsseldorf 1986, S. 209 ff.
[23] Petersen, Peter, Eine freie allgemeine Volksschule. In: Röhrs, Hermann (Hg.), Die Schulen …, S. 209 ff.
[24] Petersen, P./Wolff, H., Eine Grundschule nach den Grundsätzen der Arbeits- und Lebensgemeinschaftsschulen, Weimar 1925. In: Röhrs, Hermann (Hg.), Die Schulen …, S. 216 ff.
[25] Petersen, Peter, Der kleine Jenaplan, S. 7
[26] Prospekt der Jenaplan-Forschungsstelle der Justus-Liebig-Universität in Gießen
[27] Petersen, Peter, Eine freie allgemeine Volksschule, in: Röhrs, , Hermann (Hg.), Die Schulen …, S. 209 ff.
[28] Petersen, Peter, Der kleine Jenaplan, S. 11 f.
[29] Vgl. Montessori, Maria, Die Entdeckung des Kindes; sie verwendet den Begriff des „inneren Bauplanes des Kindes“.
[30] Der Begriff „Führer“ ist hier pädagogisch gemeint.
[31] Petersen Peter, Führungslehre des Unterrichts, 5. Aufl. Weinheim 1955, S. 20
[32] Vgl. dazu vor allem die Ausführungen Maria Montessoris, in deren Pädagogik die Arbeit (an sich) im Vordergrund der kindlichen Entwicklung steht.
[33] Vgl. dazu die „Entwicklungsmaterialien“ nach Maria Montessori
[34] Petersen, Peter, Führungslehre des Unterrichts, S. 182
[35] Peter Petersens Konzept des Jenaplans soll ausdrücklich den pädagogischen Anachronismus des Sitzenbleibens durch entsprechende schulische Organisationsformen verhindern.
[36] Prospekt der Jenaplan-Forschungsstelle der Justus-Liebig-Universität in Gießen
[37] Klaßen, Theodor, F., Zur Entstehungsgeschichte des Jenaplans, in: Westermanns Pädagogische Beiträge 1952, S. 449-452
[38] Petersen, Peter, Eine freie allgemeine Volksschule. In: Röhrs, Hermann (Hg.), Die Schulen …, S. 209 ff.
[39] Helen Parkhurst – Begründerin des Daltonplans; auf Helen Parkhurst und den Daltonplan wird noch ausführlich eingegangen werden.
[40] Auch die Pädagogik Peter Petersens wird noch ausführlich dargestellt.
[41] Arbeits- und Differenzierungsformen in reformpädagogischen Schulen werden noch ausführlich dargestellt werden.